Kirchheim
Ohne Personal keine Verkehrswende

Busverkehr Corona ist nicht die einzige Sorge, die Unternehmen und Berufsverbände im Nahverkehr umtreibt. Der Branche droht in den kommenden Jahren ein gravierender Fahrermangel. Von Bernd Köble

Es ist ein Problem, das im Verborgenen schlummert. Busunternehmen im Linienverkehr trifft nicht nur der corona-bedingte Einbruch bei den Fahrgastzahlen hart. Die Betriebe steuern auf einen gravierenden Personalnotstand zu. Nach Einschätzung des Bundesverbands Deutscher Omnibusunternehmen (BDO) fehlen bis 2031 bundesweit mehr als 30 000 Busfahrerinnen und -fahrer. Eine Situation ähnlich wie im Schienenverkehr und ein Problem nicht nur für Unternehmen, sondern auch für die Politik, die wie in Baden-Württemberg die Fahrgastzahlen im ÖPNV bis 2030 verdoppeln will, um die Verkehrswende zu schaffen.

Noch gefährdet der Fahrermangel keine Existenzen. Von Betriebsaufgaben oder Lizenzrückgaben aus diesem Grund sei bisher nichts bekannt, bekräftigt Ulrike Weißinger, Pressesprecherin im Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart (VVS). Zuletzt hatte es meist andere Gründe, wenn Fahrten ausfielen und Linien nicht mehr bedient werden konnten. Insolvenzen wie bei Rexer in Calw oder Bader Reisen in Grafenberg haben
 

„Wie es weitergeht, wenn die alle in Rente gehen, weiß ich nicht.
Tina Weissinger-Eberhardt
Die Busunternehmerin über die Altersstruktur ihrer Fahrer

 

auch im Kreis Esslingen während der Pandemie dazu geführt, dass Notfahrpläne erstellt und Konkurrenzbetriebe einspringen mussten. Doch nicht überall, wo der Linienbetrieb reibungslos läuft, ist eitel Sonnenschein. Personalnot ist oft nur deshalb kein Thema, weil viele Betriebe Fahrer aus Reisebussen umsatteln. Schließlich ruht dort der Betrieb seit Beginn der Pandemie fast vollständig. Umsatzeinbrüche von mehr als 50 Prozent haben manche Unternehmen trotz Rettungsschirm in den Ruin getrieben.

Andere kämpfen, doch die Sorge um die Zukunft treibt auch sie um. Experten sprechen vom „Alterspilz“ im Busgewerbe. „Unsere Fahrer sind fast alle zwischen 50 und 60 Jahre“, sagt Tina Weissinger-Eberhardt, Mitgeschäftsführerin von Omnibus Weissinger in Bissingen. „Wie es weitergeht, wenn die alle in Rente gehen“, sagt sie, „weiß ich nicht.“ Seit 1928 befördert das Familienunternehmen Fahrgäste im Raum Kirchheim. Tradition wird großgeschrieben. Manche der Mitarbeiter hinterm Steuer sind 20 Jahre und länger im Betrieb. Doch die Zeiten ändern sich. Wie bei Weissinger wird auch bei Omnibusreisen Fischer im benachbarten Weilheim nicht mehr auf eigene Rechnung gefahren. Seitdem Linienbündel nach EU-Recht europaweit ausgeschrieben werden, sind beide Firmen im Auftrag der Württembergischen Bus-Gesellschaft (WBG) als Subunternehmer unterwegs.

Dass sie das mit viel Erfahrung und Sicherheit tun, hat das Fischer-Personal seit wenigen Wochen sogar schriftlich. Auch hier sind drei der zehn Fahrer, die vom Verband Baden-Württembergischer Omnibusunternehmen (WBO) für unfallfreies Fahren ausgezeichnet wurden, seit 20 Jahren und länger dabei. Berufsbiografien, die bald der Vergangenheit angehören dürften, das weiß auch Fischer-Mitgeschäftsführerin Sybille Bauer. Zumindest im Linienverkehr hat die Ausschreibungspolitik dafür gesorgt, dass es eine langfristige Job-Garantie vielerorts nicht mehr gibt. „Ständig den Arbeitgeber wechseln, wer will das schon“, sagt sie. 

Fahrer verdienen „gutes Geld“

Wie es um die Attraktivität des Berufs bestellt ist, ist durchaus strittig. Unbezahlte Standzeiten, Wochenend- und Nachtarbeit, mehr Stress durch wachsenden Verkehr und anspruchsvollere Fahrgäste. Dafür gibt es für Berufseinsteiger seit 1. Dezember vorigen Jahres einen Bruttolohn von 17,32 Euro die Stunde. WBO-Sprecherin Ulrike Schäfer spricht für die 350 privaten Busunternehmen im Land von einer „extrem harten“ Tarifrunde vor Weihnachten und stellt klar: „Man kann in diesem Beruf richtig gutes Geld verdienen.“ 

Das bestreitet auch Guido Lieder nicht. Er bildet in Kirchheim Fahrschüler im Berufsverkehr aus und übernimmt mit seinem Unternehmen auch die Vermittlung in den Arbeitsmarkt. Wie groß der Mangel ist, zeigt diese Zahl: 50 Bewerber für den Busführerschein hat er im vergangenen Jahr durch die Prüfung gebracht, alle haben sofort einen Job gefunden – trotz Corona. Sein Einwand: Es könnten deutlich mehr sein. Größte Hürde ist die Sprache. Weil sich die horrenden Führerscheinkosten kaum noch jemand privat leisten kann (siehe Extra-Info), übernimmt die Kosten bei erfolgreicher Vermittlung die Arbeitsagentur. 90 Prozent der Bewerber haben einen Migrations-Hintergrund. Die theoretische Fahrprüfung, die in der Muttersprache abgelegt werden kann, ist für die meisten kein Problem. Die IHK-Prüfung, die seit 2006 als Teil der sogenannten Grundqualifikation in deutscher Sprache vorgeschrieben ist, hingegen schon. Der Aufwand dafür sei enorm, meint Guido Lieder, und in vielen Fällen nicht gerechtfertigt. Er sagt: „Viele Fragen haben mit dem eigentlichen Berufsbild gar nichts zu tun.“
 

Bis zu 15 000 Euro für den Führerschein

Verkehrsbetriebe und Berufverbände machen verschärfte Zugangsvoraussetzungen und horrende Kosten für den Busführerschein als Gründe für den Fahrermangel aus. Während früher viele Aushilfskräfte und Quereinsteiger den Führerschein privat finanzierten oder die Gelegenheit nutzten, die Prüfung während des Wehrdienstes abzulegen, führt der Weg heute fast ausschließlich über die Arbeitsagentur. Bei bestandener Prüfung und erfolgreicher Vermittlung übernimmt sie die Kosten.
Für Berufseinsteiger mit Pkw-Führerschein kann die Fahrerlaubnis für den Busverkehr bis zu 15 000 Euro kosten. Für Bewerber, die bereits über einen Lkw-Führerschein verfügen, liegen die Kosten mit bis zu 5 000 Euro deutlich darunter. Preistreiber sind die hohe Zahl vorgeschriebener Fahrstunden, die mit bis zu 80 Euro zu Buche schlagen.  bk