Virusfutter. Dieses Wort hört man ab und an hinter vorgehaltener Hand, wenn Erzieherinnen darüber sprechen, wie sie die vergangenen Wochen erlebt haben. Durchseuchung ist das andere. Man kann es den Erzieherinnen nicht verdenken: Erst stiegen die Corona-Zahlen dramatisch an. Dann, Anfang Februar, kam die Order des Landesgesundheitsamts, keine Kita-Gruppen mehr zu schließen. Egal, wie viele Kinder infiziert waren. Die Erzieherinnen hatten also keine Wahl, sie mussten zur Arbeit gehen. Ansteckungen? Unvermeidlich.
„Wir hätten uns gewünscht, dass die Kita zugemacht worden wäre“, sagt Mareike Wandel, Leiterin der CJD-Kita im Doschler, im Rückblick. Dort hat es Anfang Februar einen Ausbruch gegeben, 21 Kinder seien infiziert gewesen, rund zwei Drittel der Erzieherinnen hätten sich angesteckt. Nicht alle gleichzeitig, glücklicherweise. Doch der organisatorische Aufwand sei enorm gewesen, sagt Wandel. Ständig neue Fälle. Öffnungszeiten einschränken, Gruppen schließen, immer wieder umplanen. Eine solche Situation hat Wandel noch nicht erlebt: Vor diesem Ausbruch habe es unter den Kindern in der Kita im Doschler keinen einzigen Corona-Fall gegeben, und nur zwei beim Personal.
Auch einige Kindertageseinrichtungen der Stiftung Tragwerk sind von Omikron regelrecht überspült worden. „In Kirchheim musste ich den Gemeindehauskindergarten schließen, weil sich alle Kollegen infiziert haben“, sagt Marion Autenrieth, Leiterin der Kitas der Stiftung. 17 von 20 Kindergartenkindern waren erkrankt. Die Einrichtung blieb 14 Tage geschlossen. Auch das Haus in Nürtingen war dicht. Im Kindergarten in der Schlierbacher Straße und bei den U3-Kindern gebe es immer wieder Einzelfälle, sowohl bei den Kindern als auch bei den Erzieherinnen. „Es gibt aber nicht die Durchseuchung, wie wir sie erwartet haben“, sagt Autenrieth erleichtert.
Maske tragen ist nicht möglich
Dass Kitas ab einer gewissen Zahl an infizierten Kindern nicht mehr schließen dürfen, findet auch Autenrieth nicht richtig. Und sie wünscht sich, dass die Leistung, die die Erzieherinnen seit fast zwei Jahren Pandemie erbringen, mehr gesehen und gewürdigt wird. Als Lehrer könne man durchgehend Maske tragen und in der Regel Abstand halten, sagt sie. „Aber unsere Erzieherinnen kuscheln mit den Kindern, tragen sie auf dem Arm herum, die Kinder niesen ihnen ins Gesicht. Sie sind Viren schutzlos ausgeliefert“. Maske tragen sei in der Krippe in der Regel nicht möglich, auch im Kindergarten nicht. „Die Kinder brauchen das Gesicht der Erzieherinnen“, sagt Autenrieth.
Auch die Corona-Regelungen, die sich ständig änderten, zermürbten. „Unsere Erzieherinnen stehen an vorderster Front. Die müssen sich hinstellen und das den Eltern erklären“. Auch von manchen Eltern wünscht sich Autenrieth mehr Respekt und Anerkennung. Da gebe es immer wieder „ungute Situationen“. Beispielsweise müssten die Erzieherinnen gerade oft mit Eltern diskutieren, die ihr Kind krank in den Kindergarten schicken wollten, mit der Begründung, es habe ja kein Corona. „Es gibt aber noch viele andere Kinderkrankheiten, vor denen wir die anderen Kinder und das Personal schützen müssen“, sagt Autenrieth.
Eine, die an vorderster Front steht, ist Alina Dyck, 27 Jahre alt und seit fast sechs Jahren Erzieherin in der Kita im Doschler. Es sei schon merkwürdig gewesen, als die ersten Tests von Kollegen positiv waren, sagt Dyck. „Man hat dann jeden Tag gebibbert und gehofft, dass der eigene Test negativ ist“. Ganz schutzlos habe sie sich nicht gefühlt, sagt sie. „Wir sind fast alle geimpft, geboostert, wir testen uns, die Kinder testen sich.“ Maske tragen sei jedoch nicht möglich. „Es ist wichtig, dass die Kinder unsere Emotionen erkennen können“, sagt sie. Dass die Kita nicht schließen durfte, fand sie falsch. Die Sorge vor einer Ansteckung war da, nicht wegen möglicher Folgen für sie selbst, sondern für ihre Angehörigen. „Natürlich hätte man sich krankschreiben lassen können, aber man will ja die Kolleginnen nicht im Stich lassen“, sagt sie. Auch bei Alina Dyck war der Schnelltest eines morgens positiv. Angesteckt habe sich glücklicherweise nur ihr Bruder. Mittlerweile ist sie wieder bei der Arbeit.