Kirchheim. Mit dem ersten Zeugenauftritt wurde gestern am Stuttgarter Landgericht der Prozess gegen einen 45-jährigen vietnamesischen Hilfskoch wegen versuchten Totschlags fortgesetzt. Das Opfer, der 34-jährige Chefkoch eines vietnamesischen Lokals in Kirchheim, berichtete von jenem Nachmittag des 29. Oktobers 2023 und gab an, dass der Angeklagte bereits Monate vor der Messerattacke aggressiv gegen ihn geworden sei. Man habe sich in der Küche des Lokals – und danach auch im Hinterhof – über die Anweisungen des Chefkochs in die Haare bekommen. Dabei sei der Angeklagte erstmals mit einem Küchenmesser in der Hand gegen ihn aufgetreten. Mit einer abgebrochenen Getränkeflasche habe er sich zur Wehr gesetzt, wobei in diesem Fall niemand verletzt worden sei. Es blieb nur bei gegenseitigen Bedrohungen.
Immer wenn es Streit zwischen ihm und dem Hilfskoch gab, habe man vereinbart, den Disput in den Hinterhof der Gaststätte zu verlegen. Dort könne man die Differenzen besprechen. Im April vergangenen Jahres sei es jedoch fast zum Angriff gekommen. Eine Mitarbeiterin des Lokals sei rechtzeitig dazwischengegangen, sagte der Zeuge. Er sei durch dieses Vorkommnis zu geschockt gewesen, sodass er sich für den Rest des Tages krank gemeldet habe.
Dann kam er auf den 29. Oktober zu sprechen, wobei die Richter der Stuttgarter Schwurgerichtskammer große Probleme mit den Übersetzungen der vietnamesischen Sprache ins Deutsche hatten. Ein Dolmetscher musste jede Silbe übersetzen, wobei dies nicht immer gelang. Mehrmals mussten die Richter nachfragen: „Haben Sie eine Flasche in der Hand gehabt?“ Der Zeuge sagte zuerst „Nein“, dann korrigierte der Dolmetscher dies in ein „Ja“. Auf die richterlichen Fragen, warum er sich mit abgebrochenen Flaschen bewaffnete, sagte der Zeuge, er sei sehr wütend und verärgert über das Verhalten des Angeklagten gewesen. An diesem Oktobernachmittag habe es mit dem Angeklagten wieder Streit gegeben. Er habe sich der Anweisung, Hühnerfleisch aus dem Lager zu holen, widersetzt. Es sei gegen 13 bis 14 Uhr gewesen, als man erneut im Hinterhof der Gaststätte die Aussprache führen wollte. Dabei habe der Angeklagte wieder das Messer in die Hand genommen, der Zeuge selbst habe sich mit zwei abgebrochenen Flaschen bewaffnet. Doch es blieb auch diesmal noch bei der gegenseitigen Drohung.
Nur eine Not-OP konnte helfen
Das jedoch änderte sich, als der Zeuge danach nach Hause ging. Weil er seinen Wohnungsschlüssel vergessen hatte, musste er zurück zum Lokal. Auf dem Weg dorthin in der Alleenstraße sei ihm an der Kreuzung plötzlich der Angeklagte entgegengekommen. Er habe die rechte Hand in der Tasche gehabt, diese dann herausgezogen und dabei ein in ein weißes Tuch eingewickeltes Messer hochgehoben. Er, der Zeuge, habe ihm zur Abwehr zunächst einen Fußtritt verpasst. Dann habe der Angeklagte mit dem Messer direkt auf ihn gezielt und zugestochen. Getroffen wurde der Zeuge am Hals, im Gesicht, an der Schulter und den Händen. Diesmal jedoch sei entgegen den Beteuerungen des Angeklagten keine abgebrochene Flasche mehr im Spiel gewesen. Seine Verletzungen waren lebensbedrohend, wie die Ärzte später im Krankenhaus feststellten. Dazu hat die Stuttgarter Schwurgerichtskammer eine Gerichtsmedizinerin der Uni Tübingen hinzugezogen, um im Laufe des Prozesses über die genauen Verletzungen und deren Folgen für das Opfer zu referieren. Die Verhandlung geht am 19. April weiter. Bernd Winckler