Migration
Personalnot in Kliniken: Warum Syrien nicht als Wahlkampfthema taugt

In den Medius-Kliniken sind knapp ein Viertel der Beschäftigten keine deutschen Staatsbürger. Eine syrische Ärztin erklärt, weshalb sie die Rückführungs-Debatte für unangemessen hält.

Um den Bedarf an medizinischen Fachkräften in den Krankenhäusern decken zu können, braucht es Unterstützung aus dem Ausland – auch in der Medius-Klinik hier in Kirchheim.  Foto: Carsten Riedl

Jeder ist zunächst einmal Mensch. Mit Wünschen, Hoffnungen und Plänen im Leben. „Mein Plan war immer, eine gute Ausbildung zu bekommen und möglichst viel Erfahrung zu sammeln – auch im Ausland,“ sagt Amira Fayad (Name geändert). Die 30-jährige Syrerin ist in einer kleinen Stadt südlich von Aleppo aufgewachsen, hat in Damaskus Medizin studiert und arbeitet seit Sommer 2020 als Kardiologin in der Medius-Klinik in Kirchheim. Sie ist eine von neun Ärztinnen und Ärzten aus dem von Machthaber Assad befreiten Land, die im kreis­eigenen Klinikverbund beschäftigt sind. Fayad kam nicht als Asylsuchende nach Deutschland, sondern mit einem Arbeitsvisum, um hier ihre Weiterbildung abzuschließen. Die Diskussion über eine schnelle Rückführung aller Geflüchteter aus ihrem Land versteht sie dennoch nicht. „Wir sind glücklich, dass die Tyrannei überstanden ist“, sagt sie. „Was jetzt kommt, wissen wir nicht.“ Wer in Deutschland arbeitet und integriert ist, meint die junge Medizinerin, „der sollte die freie Wahl haben.“

Ein frommer Wunsch, denn Migration ist früher als erwartet zu einem zentralen Thema im Bundestagswahlkampf geworden. Was dazu führt, dass Fakten schon mal in den Hintergrund treten. Die Bundesärztekammer schlägt vorsorglich Alarm und warnt vor einer Versorgungslücke. Nun sind nicht alle Syrer im Land Mediziner, doch Ende 2023 waren in Deutschland 5758 Ärztinnen und Ärzte von dort gemeldet. Die tatsächliche Zahl dürfte deutlich höher liegen, weil zahllose Bewerber zum Zeitpunkt der Erhebung im laufenden Anerkennungsverfahren steckten. Die Pflegebranche zeichnet ein ganz ähnliches Bild: Dort sind laut Arbeitgeberverband syrische Beschäftigte überproportional vertreten und stellen damit eine zentrale Säule in der Versorgung dar. Die Bundes-Arbeitsagentur haut in dieselbe Kerbe und weist auf eine „starke Konzentration syrischer Geflüchteter in Mangel- und systemrelevanten Berufen hin.“ 

Unser Bedarf im Pflegebereich wächst konstant.

Sebastian Krupp, Geschäftsführer der Medius-Kliniken, über den Fachkräftemangel, den der eigene Markt nicht decken kann.

 

Zurück zu den Medius-Kliniken, wo insgesamt 18 Fachkräfte aus Syrien im ärztlichen Bereich und in der medizinischen Pflege tätig sind. „Gemessen an der Gesamtzahl unserer Beschäftigten fällt das natürlich kaum ins Gewicht“, sagt Klinik-Geschäftsführer Sebastian Krupp. Anders sieht die Sache aus, wenn man den Blick international weitet: 973 Mitarbeiter in den drei Häusern in Kirchheim, Nürtingen und Ruit sind keine deutschen Staatsbürger. Das ist knapp ein Viertel der gesamten Belegschaft. „Unser Bedarf vor allem im Pflegebereich steigt konstant“, klärt der Geschäftsführer über die Gründe auf. Ein Bedarf, den der inländische Markt folglich nicht alleine decken kann. Trotz größter Anstrengungen beispielsweise mit der angegliederten Pflegeschule, die einen eigenen Campus im Verbund mit gewerblichen Schulen bildet. Seit fünf Jahren kooperieren die Medius-Kliniken mit Personalagenturen in der ganzen Welt, um dem Mangel an Fachkräften zu begegnen. Rund 300 zusätzliche Vollzeitstellen sind so in den vergangenen sechs Jahren entstanden. Besetzt mit Menschen aus Südosteuropa, Portugal oder Südamerika. Sebastian Krupp hofft, dass der Berliner Wahlkampf diesem Thema Rechnung trägt. „Ich bin kein Politiker, aber wer hier arbeitet und Geld verdient, der sollte auch die Wahl haben, ob er im Land bleibt oder nicht.“ 

Amira Fayad kann sich vorstellen, eines Tages in ihr Heimatland Syrien zurückzukehren, um sich am Wiederaufbau zu beteiligen. Auch wenn sie den moralischen Druck, den viele Politiker hier im Land jetzt stärken, angesichts der unklaren Lage unangemessen findet. In Syrien, sagt sie, herrsche kein Mangel an Ärzten. Allein in ihrem Jahrgang haben an der Universität in Damaskus 1200 Jungmediziner ihren Abschluss gemacht. „Viele sind damals ins Ausland gegangen“, räumt sie ein. „Aber gerade jetzt werden viele bleiben.“ Ihr Vertrag in Kirchheim läuft noch zwei Jahre. Sie würde gerne verlängern und Zusatzausbildungen in innerer Medizin und Intensivmedizin anschließen. „Meine Familie will, dass ich zurückkehre“, erzählt die 30-Jährige. „Aber nicht aus Verpflichtung, sondern aus Liebe.“