Kirchheim
Pflegeheim droht Aufnahmestopp

Protest Das Haus der Senioren in Nürtingen will die Einzelzimmer-Verordnung des Landes nicht umsetzen und beruft sich auf den Willen der Bewohner. Ein gerichtliches Ultimatum ist an diesem Dienstag verstrichen. Von Bernd Köble

Es ist eine Entscheidung, die als zeitgemäß und im Sinne pflegebedürftiger Menschen verstanden werden soll. Mehr Raumkomfort, mehr Privatsphäre, Einzel- statt Zweibettzimmer in Heimen der stationären Pflege, so lautet die Vorgabe in der Landesheimbauverordnung, die seit 2009 gilt. Doch auch 14 Jahre nach der Änderung schlägt das Thema Wellen, wie ein Fall in Nürtingen jetzt zeigt.

„Schluss mit der Behörden-Willkür“ oder „Unsere Bewohner wollen ihr Zuhause behalten“ – die Botschaft, die im Haus der Senioren in der Nürtinger Europastraße für alle sichtbar in Plakatform vor Fenstern hängt, ist deutlich. Isabell Flaig betreibt das private Heim seit der Jahrtausendwende. Seit 2003 ist sie zudem mit dem Pflegezentrum in der Kirchheimer Jahnstraße am Markt, das auch Palliativ-Pflege anbietet. Rund zwei Drittel der verfügbaren Plätze an beiden Standorten finden sich in Doppelzimmern. Das Haus in Nürtingen gilt als Kleinsteinrichtung mit 30 Plätzen, für die es zeitlich befristete Übergangsregelungen gibt. Kirchheim liegt mit 39 Plätzen leicht darüber.

Ausschließlich Einzelzimmer anzubieten ist für die Unternehmerin weder wirtschaftlich vertretbar noch im Sinne ihrer Kundschaft. „Unsere Bewohner wollen selbst entscheiden, wie sie leben möchten,“ betont Isabell Flaig. Viele hätten sich ganz bewusst für eine Wohnform zu zweit entschieden. „Es macht zudem keinen Sinn, Plätze abzubauen, wo diese dringend gebraucht werden.“ Bis zu 80 Anfragen täglich, so berichtet sie, gingen bei ihr ein.

Die Heimbetreiberin ist im Mai vergangenen Jahres deshalb vor das Stuttgarter Verwaltungsgericht gezogen, um eine Befreiung zu erstreiten. Dort kam es zum Vergleichsvorschlag, dem am Ende beide Seiten zustimmten und der eine Verlängerung der Befreiungsfrist bis 2032 ermöglicht hätte. Voraussetzung für den Kompromiss: Die Umsetzung eines vom Heim erarbeiteten Konzepts zur Umwidmung von zwei Doppelzimmern innerhalb eines Jahres. Stichtag: 9. Mai 2023. Seit Dienstag ist dieses Ultimatum ergebnislos verstrichen. Der Konflikt schwelt also weiter.

Werden hier Pflegeeinrichtungen mit sinnlosen Verordnungen drangsaliert? Im Esslinger Landratsamt, wo die Heimaufsicht angesiedelt ist, sieht man das anders. Dort hält man die vom Heim konzeptionierten Umbauten für den kleinsten gemeinsamen Nenner, was die wirtschaftlichen Interessen

 

„Unsere Bewohner wollen selbst entscheiden, wie sie leben möchten.
Isabell Flaig
Private Heimbetreiberin
 

des Betreibers und die seiner Bewohner angeht. Vor Gericht seien sich beide Seiten einig geworden, dass das Konzept, das unter anderem den Einbau von zwei Bädern vorsieht, nun umgesetzt werden soll, das Heim dafür jedoch noch Zeit benötige, teilt Behördensprecherin Andrea Wangner mit. Daher die einjährige Frist. Warum sie diese nun verstreichen ließ, erklärt Isabell Flaig mit hohen Baukosten, Handwerkermangel und den Unannehmlichkeiten für Bewohner während eines Baus im laufenden Betrieb.

Und wie geht es nun weiter? Droht dem Haus der Senioren nun die Schließung? „Die Heimaufsicht wird nach Fristablauf prüfen, ob und gegebenenfalls welche Maßnahmen verhältnismäßig sind“, erklärt Andrea Wangner. Als moderates Mittel gilt die Verhängung eines Aufnahmestopps bis zu dem Zeitpunkt, zu dem eine Einzelunterbringung gewährleistet wäre. Isabell Flaig findet dafür andere Worte: Man wolle ihre Einrichtung ausbluten lassen, sagt sie. Auch für die Umwandlung eines Doppelzimmers im Pflegezentrum Kirchheim gebe es inzwischen eine Vorgabe.

Im Sozialministerium in Stuttgart wird man seit Herausgabe der Verordnung nicht müde, zu betonen, man wolle niemand zwingen, im Heim alleine zu leben. Das Gebot sieht deshalb flexible Raumkonzepte vor, die Wahlmöglichkeiten schaffen sollen. Umgekehrt will man verhindern, dass Heimbewohner gegen ihren Willen mit Unbekannten in einem Zimmer zusammenleben müssen.

Die Kehrseite der Medaille: Nach Jahren mit Überkapazitäten warnen Experten inzwischen vor einem Pflegenotstand. Zwar war laut Statistischem Landesamt 2019, also vor Beginn der Pandemie, nur knapp jeder Fünfte Pflegebedürftige in Baden-Württemberg stationär im Heim untergebracht. Trotzdem rechnet der Kommunalverband für Jugend und Soziales (KVJS) wegen der geburtenstarken Jahrgänge bis 2030 mit einem zusätzlichen Bedarf von rund 110 000 stationären Pflegeplätzen im Land. Der wachsende Trend zur ambulanten Pflege ist darin schon eingerechnet.

Heim zog schon einmal vor das Verwaltungsgericht

Isabell Flaig ist während der Corona-Pandemie vor zwei Jahren schon einmal als streitbarer Geist in Erscheinung getreten. Damals ging die Heimbetreiberin gerichtlich gegen eine Anordnung des Landratsamts Esslingen vor, wonach sich Beschäftigte in Pflegeheimen dreimal pro Woche auf das Coronavirus testen lassen mussten.
Mit ihrem Eilantrag, der sich gegen das Land richtete, erzielte sie am 12. März 2021 einen Teilerfolg vor dem Stuttgarter Verwaltungsgericht. Ausgangspunkt war eine anlassbezogene Prüfung im Pflegezentrum Kirchheim, bei der festgestellt wurde, dass die Einrichtung zum damaligen Zeitpunkt weder über Antigen-Tests verfügte, noch Testungen durch Externe anbot. Der Widerspruch hatte im März aufschiebende Wirkung. Die Testpflicht in der stationären Pflege kam im darauffolgenden Jahr trotzdem im Rahmen des bundesweiten Infektionsschutzgesetzes. bk