Kirchheim
Pflegekräfte können es sich aussuchen

Pflege Vor fünf Jahren hat Uta Kümmerle als Erste im Landkreis Esslingen als selbstständige Pflegeberaterin begonnen. Mittlerweile hat sich viel verändert. Von Peter Dietrich

Für Uta Kümmerle ist klar: „Ich habe genau den richtigen Nerv getroffen.“ Die Pflegeberaterin zeigt sich überrascht von den unerwartet vielen Anfragen und der Zustimmung. Überhaupt nicht zustimmen wollte sie aber jenem Chef einer Pflegeeinrichtung, der sich bei ihr über die neue Einzelzimmerpflicht beschwerte. „Ich habe ihn gefragt, ob er im Sommerurlaub mit einer fremden Person ein Hotelzimmer teilen würde, ohne spanische Wand und ohne jede Privatsphäre.“ Uta Kümmerle ist auf jeden Fall für die Pflicht zum Einzelzimmer, trotz des „großen Aufschreis“ der Träger. Sie kennt sogar Ehepaare, die beim Einzug ins Pflegeheim Einzelzimmer wollten.

Doch sie verweist auch auf die Nebenwirkungen: „Zum 1. September läuft die Übergangsfrist aus. Viele kleine Häuser mussten schließen. Die größeren haben um- und angebaut, die Plätze sind weniger geworden.“ Nun kämen die geburtenstarken Jahrgänge: „So viele Plätze können wir gar nicht bauen.“ Teils läge es aber gar nicht am Raummangel, sondern an fehlenden Fachkräften. Sei die vorgeschriebene Fachkraftquote von 50 Prozent nicht erfüllt, verlange die Heimaufsicht einen Aufnahmestopp. So komme es, dass Sozialdienste auf der Suche nach Heimplatz oder Kurzzeitpflege erfolglos 30 Einrichtungen durchtelefonieren.

Eine Alternative kann die Pflege zu Hause ein. Uta Kümmerle erreichen viele Anfragen, sie vermittelt Kräfte aus Polen und vereinzelt aus Ungarn. „Ich arbeite mit drei auf Herz und Nieren geprüften Partnern zusammen“, sagt sie. Doch nun komme für zwei Monate die heiße Phase: Weil Angehörige in Deutschland in Urlaub wollten, steige die Nachfrage nach Kurzzeitpflege. Zugleich seien Polinnen aber auch in Urlaub. Manche erwarteten eine 24-Stunden-Betreuung. Ihnen muss Kümmerle dann erklären, dass auch eine Pflegekraft ein Recht auf einen Acht-Stunden-Tag hat, auch wenn sie im Haus wohnt und im Notfall eingreifen kann.

Die Situation habe sich herumgedreht: „Vor zehn Jahren konnte ein Deutscher für die Pflege aus drei Polinnen aussuchen. Heute ist es genau umgekehrt. Die Frauen bekommen die Informationen vorgelegt und können aussuchen. Gefragt sind eine gute Unterkunft, Internet und dass die Freizeit gewährleistet ist. Die Frauen akzeptieren nicht mehr alles.“ Verändert habe sich auch das Verhältnis zu den ambulanten Pflegediensten: „Das ist ein Miteinander, keine Konkurrenz mehr. Die Frauen machen keine illegalen Sachen.“ Eine Chance bringe der Brexit: „Viele Polinnen waren in England tätig. Jetzt sind sie unsicher, ob das nach dem Brexit kompliziert wird und könnten stattdessen zu uns kommen.“

Finanzielle Stärkung

Kümmerle, die 20 Jahre lang in Bissingen die Nachbarschaftshilfe geleitet hat, fordert, die häusliche Pflege weiter finanziell zu stärken. „Pflegt die Tochter oder eine Polin, gibt es nur das Pflegegeld, ein professioneller Dienst würde etwa das Doppelte bekommen.“ Und die monatlich 125 Euro für Betreuungsleistungen könnten nur über Dienste abgerufen werden, seien nicht frei verfügbar. „Man sollte das als persönliches Budget gestalten, so wie es das bei Menschen mit Behinderungen gibt. Da sollte der Bürger mehr Vertrauen bekommen, natürlich gegen Nachweis, wohin das Geld geflossen ist.“ In der Summe: „Die Pflegekasse spart sehr viel Geld und das ist ungerecht.“

Unzufrieden ist die Pflegeberaterin auch mit der Qualitätssicherung. „Die Prüfer sollten neutral sein, so wie der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK). Dass die Angehörigen die Bewertung unterschreiben müssen, ist ebenfalls schwierig.“

Anfang 2018 hat die Pflegeberaterin eine Zweigstelle in Konstanz eröffnet. „Ich bin immer wieder ein paar Tage unten, Mitarbeiterinnen vor Ort unterstützen mich.“ Dort haben auch schon Schweizer nach Auslandskräften angefragt. „Aber das geht nicht, das ist keine EU.“