Einer allgemeinen Impfpflicht würde Stefan Wiedemann sofort zustimmen. Aber eine Verpflichtung nur für Pflegekräfte in Alten- und Pflegeheimen und Krankenhäusern? „Das sehe ich kritisch“, sagt der Geschäftsführer der DRK-Seniorenzentren im Landkreis Esslingen. Die geplante Änderung im Infektionsschutzgesetz beträfe kaum ein Zehntel seiner Belegschaft, mehr als 90 Prozent der Mitarbeiter sind geimpft oder genesen. Der Großteil derer, die dem Piks in den Arm zunächst skeptisch gegenüber gestanden haben, habe im Laufe des Jahres die Meinung geändert. „Da haben wir viel Überzeugungsarbeit geleistet, ohne Druck aufzubauen.“ Aber er weiß auch: „Es werden sich nicht alle impfen lassen.“ Auch wenn das vermutlich nur ein kleiner Teil sein wird, bereitet ihm die Aussicht Sorge: „Jeder Einzelne, der fehlt, tut uns weh.“ Er sieht auch die Gefahr einer Stigmatisierung. „Man fühlt sich diskriminiert als Angehöriger dieser Branche. Nach dem Motto: Die haben es nicht drauf und brauchen eine Impfpflicht.“
Sorge vor Zuspitzung
Stefan Wieland, Sprecher der Zieglerschen, die in Kirchheim das Henriettenstift betreibt, sieht das ähnlich: „Angesichts eines ohnehin hohen Fachkräftemangels in den pflegenden Berufen haben wir die Sorge, dass sich die angespannte Personalsituation in der Pflege aufgrund einer einrichtungsbezogenen Impfpflicht weiter zuspitzt. Die Folge wäre eine weitere Belastung der Kolleginnen und Kollegen mit einer drohenden Verschlechterung der Pflegestandards.“ Auch er würde eine allgemeine Impfpflicht begrüßen. Im Henriettenstift hat es bislang jedoch keine Kündigungen gegeben. „Wir hatten in der Mitarbeiterschaft von Anfang an eine hohe Impfbereitschaft und haben nun bei den Mitarbeitenden eine Impfquote von 98 Prozent“, sagt Leiter Marcel Koch.
Die Evangelische Heimstiftung, die in Baden-Württemberg 156 Einrichtungen betreibt, darunter das Haus an der Teck in Dettingen und das Haus im Lenninger Tal, äußert sich durchweg positiv zur Impfpflicht für alle Beschäftigten in Pflegeheimen, also nicht nur für das Pflegepersonal. In einer Pressemeldung zeigt sie sich „überzeugt davon, dass sie die Impfquoten in betroffenen Einrichtungen weiter steigern wird“, fordert aber gleichzeitig den Gesetzgeber auf, auch die allgemeine Impfpflicht zu verabschieden. Zum 12. Dezember meldete die Stiftung eine Immunisierung von 80 Prozent der 9300 Beschäftigten. Bereits seit November habe man Beratungsangebote ausgeweitet, damit sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter noch vor Einführung der gesetzlichen Plicht für eine Impfung entscheiden. Angst vor Versorgungsengpässen gibt es nicht: „Sollte es doch einzelne Kündigungen geben, dann ist das zwar schade, wäre dann aber so“, heißt es dort.
Krankenschwester Zerinka Kovacevic, Wohnbereichsleiterin im Kirchheimer Ficker-Stift, hält die Impfpflicht ebenfalls für sinnvoll. Im Kollegenkreis gebe es ohnehin nur vereinzelte, meist jüngere Kolleginnen und Kollegen, die nicht geimpft sind, sagt sie. Deren Skepsis habe entweder mit Angst vor Unfruchtbarkeit zu tun oder bei jungen Männern mit dem Gefühl, zu etwas gezwungen zu werden. „Ich sage den Leuten, dass es sein kann, dass sie dann nicht mehr arbeiten können“, erzählt die gebürtige Kroatin. Ein Teil überlege, ein Teil würde dann wohl auch gehen, meint sie. Auch aufgrund eigener Erfahrungen in der Verwandtschaft mit schweren Corona-Verläufen wünscht sie sich daher, dass die Gefahren einer Ansteckung minimiert werden.
Noch kein personeller Aderlass
Für die „einrichtungsbezogene Impfpflicht“ spricht sich auch die Leitung der Medius-Kliniken aus. Nach eigenen Angaben sind in den klinikeigenen Impfzentren unter 3000 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen bislang rund 4000 Erst-, Zweit- und Booster-Impfungen durchgeführt worden. Derzeit werde noch erhoben, wie viele sich die Immunisierung woanders geholt haben. Angst vor einem personellen Aderlass hat man dort nicht. „Auf Basis unserer Dezemberdaten sehen wir keine statistische Auffälligkeit hinsichtlich der Fluktuation. Aktuell sind uns lediglich sehr vereinzelte mit der Impfpflicht begründete Kündigungen bekannt.“
Ohne Nachweis keine Beschäftigung
Ab dem 15. März 2022 gilt in Deutschland eine Impfpflicht für Gesundheits- und Pflegepersonal. Das haben Bundestag und Bundesrat am 10. Dezember beschlossen. Die Änderung im Infektionsschutzgesetz sieht vor, dass Beschäftigte in Einrichtungen wie Kliniken, Pflegeheimen und Arztpraxen bis Mitte März Nachweise über einen vollen Impfschutz oder eine Genesung vorlegen müssen – oder eine ärztliche Bescheinigung, dass sie nicht geimpft werden können. Die Impfpflicht gilt auch für Einrichtungen, in denen Menschen mit Behinderungen betreut werden, bei Rettungsdiensten und in sozialpädagogischen Zentren.
Wer bis zum Ablauf des 15. März 2022 keinen Immunitätsnachweis vorlegen kann, darf nach dem aktuellen Infektionsschutzgesetz nicht in den von der einrichtungsbezogenen Impfpflicht betroffenen Unternehmen beschäftigt werden. Ausgenommen von der Regelung sind Personen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können. In diesem Fall ist die Vorlage eines entsprechenden ärztlichen Zeugnisses erforderlich.
Infos des Bundesgesundheitsministeriums gibt es auf zusammengegencorona.de. pm