Habt ihr Lust?“, hakt Pierre Jarawan beim Publikum nach und bekommt als Antwort ein schüchternes „Ja“ aus den vorderen Reihen. „Mmmh, vier Personen haben Lust“, scherzt der Moderator, der genau weiß, dass es in der Bastion nicht so ist. Der Bühnenliterat und Bestsellerautor ist in Kirchheim aufgewachsen und hat früher selbst an den Slams teilgenommen. Die Bastion ist an diesem Abend mit 80 Zuschauern jeglichen Alters richtig voll.
Die Regularien für den Poetry Slam: Selbstgeschrieben müssen die Texte sein und ohne Requisiten vorgetragen werden. Das Zeitlimit beträgt sechs Minuten. Ob gereimt oder ungereimt, ernst oder lustig, abgelesen oder nicht – jeder kann frei Schnauze raushauen, was er der Welt mitteilen will. Nicht zu vergessen: das Ausloten des Publikum-Applauses von Stufe eins bis zehn. Beim Poetry-Slam entscheidet nämlich keine Jury, wer ins Finale einzieht, sondern flaches bis orkanartiges Handgeklapper, das – gekoppelt mit Jubelschreien – eine besondere Dynamik bekommt.
Dynamik hat auch Liann im Blut. „Es ist mega nice hier“, sagt der Singer-Songwriter aus München, der den modernen Dichterwettstreit traditionell eröffnet und beendet. Es ist speziell, aber echt, wie Liann seine Lebens- und Liebesgeschichten bruchstückhaft mit Emotionen und Gegenständen in seinen energetischen Liedern wie „Shirt“, „Jalousie“ oder „Nirgendwo“ verbindet. Er singt kraftvoll, schnell und mitunter etwas gehetzt, begleitet sich auf der Gitarre und benutzt parallel dazu seine Füße als taktgebendes Drumset. Das hat was. So, wie sein „Urzeitmonster“ – der Sänger hat sich seine eigene Vinyl-Platte gegönnt.
Die Themen: Liebe, Krieg und Politik
Dann ist die Bühne frei für insgesamt acht Poetry-Slammer, die unter anderem aus Hildesheim, Mainz, München und Stuttgart angereist sind – oder wie Kami Schäfer, mit Krücken, aus Ötlingen. In seinem Dreierlei aus Geschichten und Gedichten geht es überwiegend um Trennung, Liebe, Zerrissenheit, Wut und Melodien aus Gefühlen und Tränen.
„Krasser Hexenkessel hier“, lobt Richard König aus Tübingen die Atmosphäre und taucht in seine ureigene Gefühlswelt ein: „Der Streit ist vorbei und wir liegen komplett gerädert zu zweit aber wie eins in einem Bett.“ Doch es ist die „Frau ohne Grauzone“, ein „Kaleidoskop voller Emotionen“. Dann mutiert Richard König zum lebenden Maschinengewehr: „Du bist eine niemals enden wollende Runde russisches Roulette mit vollem Magazin, ein laufender Widerspruch zwischen Krieg und Frieden, eine Cola mit Mentos und eine heftige Achterbahnfahrt . . . nur, dass ich mich nie freiwillig dafür angestellt habe.“
Kurzfristig umentschieden für ein poetisches Liebesgedicht an eine unbekannte Person hat sich Nicole Mann. „Wer weiß?“, fragt sie sich immer wieder, „ob da mehr zwischen uns geht?“ Denn die wahre Liebe kennt sie bis dato nicht, werden doch die Worte „Ich liebe dich“ viel zu oft verbraucht.
Max Oswald, der launig zwischen Hochdeutsch und Bayrisch hin und her switcht, macht klar: „Kaum Auftritte, kaum Einnahmen, das einzig Gute an meinem Künstlerdasein, mich heiratet man auf jeden Fall mal aus Liebe“ – ein Slammer mit Humor. Er berichtet aus seinem Tagebuch. Was ihm die Woche über so passiert ist, was er gut oder schlecht findet, von „Kopfhörern für zwei Euro im Ein-Euro-Laden“ und sich auch mal fragt: „Warum heißt Christian Lindner – und nicht gelber Sack?“
Artem Zolotanov, der aus der Ukraine stammt, wartet mit einer „Therapiesitzung mit Putin“ auf, die er „Blut“ nennt. „Fühlen Sie sich groß? Fühlen Sie sich mächtig? Wie fühlt sich das an, Millionen von Menschen in den Tod zu stürzen? 30 000 Tote, wie wollen Sie das den Müttern erklären?“ Als Therapeut wirft er ihm das Unrecht vor, stellt ihm Fragen und beantwortet diese nur drei, vier Mal mit einem „Gggrrruachh“. Am Schluss sagt er: „Wir nehmen noch Rubel und zahlen weiter mit Blut.“
Nicht minder ergreifend ist es, wie Niklas Rosche über seine Gefühle in einer Ausnahmesituation berichtet: Als er als 13-Jähriger seine Mutter vor dem Suizid rettete. Und wie er als 17-Jähriger dankbar für diesen Lebensabschnitt war. „Dadurch bin ich so viel reifer geworden.“
Bericht vom „afro-schwäbischen Alltag“
Darauf folgt Sarah Kentner: präsent, selbstbewusst und oberlustig. „So, wir senken jetzt das Mikro und das Niveau!“ Fortan berichtet sie von ihrem „afro-schwäbischen Alltag aus der kleinsten Nachrichtenagentur der Welt. Es ist alles so passiert, nur schlimmer!“ Sie lebt ihre Schulzeit sowie ihren Arbeitsalltag in unterschiedlichen Sprachnuancen vor, insbesondere im Ressort Sport. „Nur weil ich gesegnet wurde mit einem Ganzjahres-Sommerteint, kann ich nicht automatisch so schnell laufen wie Usain Bolt, singe nicht wie Whitney Houston und rappe auch nicht.“ Auch andere angenommene „Black-People-Bonus-Features“ seien ihr nicht vergönnt, verrät sie. Dafür geht sie an dem Abend in der Bastion als Siegerin hervor.
Am Schluss kommt Tilman Döring auf die Bühne, der sich sämtliche Geschlechter in allen Regenbogenfarben zum Thema macht: „Wenn Erna nun Manfred heißt. Krank ist, wer anders tickt. Krank ist wer anders . . .“