Kirchheim
„Prüfen, wo wir verletzlich sind“

Interview Kirchheims Oberbürgermeister Pascal Bader über neue Aufgaben angesichts wachsender Gefahren durch Unwetter. Die Stadt bereitet erstmals einen Katastrophenplan vor. Von Bernd Köble

Die Bilder der Flutkatastrophe im Westen Deutschlands haben aufgeschreckt. Welche Lehren Kommunen daraus ziehen müssen und welche Möglichkeiten es gibt, sich davor zu schützen, wollten wir von Kirchheims Oberbürgermeister Pascal Bader wissen.

Herr Bader, Sie sind als ehemaliger Referent im Umweltministerium ein Fachmann bei dem Thema. Was nehmen Sie nach den verheerenden Unwettern der vergangenen Tage und Wochen als Stadtoberhaupt an Aufgaben mit?
Pascal Bader: Es bewahrheitet sich jetzt, was Klimaexperten ja schon lange vorhergesagt haben. Für uns als Kommune bedeutet das, dass wir ganz genau prüfen müssen, wo sind wir besonders verletzlich. Das betrifft sowohl das Thema Hochwasser wie auch das Thema Hitze. Beides wird in Zukunft zunehmen.

Gibt es für Kirchheim denn so etwas wie eine Gefahren- und Risikokarte?
Wir haben ein Ingenieurbüro beauftragt, das uns in Kürze solche Karten wird vorlegen können. Das befindet sich gerade im Endstadium. Wir können dann ganz genau schauen, wo in Kirchheim die Brennpunkte liegen. In Lindorf und Ötlingen sind die Gefahren bei Starkregen sicher am größten. Lindorf liegt ja in

 

„Das gibt es auf kommunaler Ebene
tatsächlich nocht nicht.
Pascal Bader
Kirchheims OB zum Katastrophenplan, den die Stadt jetzt erstellt
 

einer Art Kessel, wo von allen Seiten das Wasser zuläuft. Wenn wir genau wissen, wo die größten Risiken liegen, müssen wir schauen, welche zusätzliche Maßnahmen nach dem Wissen von heute erforderlich und möglich sind. Erste Maßnahmenvorschläge wollen wir mit Bauhof, Gewässerexperten und Ingenieurbüros bis spätestens Oktober dieses Jahres erarbeiten. Das werden übergeordnete Maßnahmen sein, die die Kommune ergreifen muss, wie Gräben, Aufschüttungen und Schutzmauern. Was wir nicht wollen, ist dass jeder für sich selbst Vorsorge trifft.

Wie sieht es mit der Eigenverantwortung privater Grundbesitzer aus?
Die öffentliche Hand wird nicht alles lösen können. Wenn es darum geht, Rückstauklappen zu installieren oder Kellerschächte höher zu setzen, sind auch Privateigentümer gefordert. Es gibt auch Kellerfenster, die sind bruchsicher bei Überschwemmungen. Vorsorge in besonders gefährdeten Bereichen wird auch künftig eine Aufgabenteilung sein. Wir wollen dabei aber Unterstützung anbieten, etwa in Form von Beratung.
 

Wie muss die städtische Bauleitplanung erwartbaren Szenarien künftig Rechnung tragen?
Bei der Neuausweisung von Flächen müssen Risikopotenziale natürlich ganz genau angeschaut werden und es muss überlegt werden, ob an dieser Stelle überhaupt bebaut werden kann und falls ja, unter welchen Vorkehrungen.
 

Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung rät Kommunen dringend dazu, Flächen zu entsiegeln. In den Rathäusern in Kirchheim und Dettingen versucht man die Bevölkerung gerade davon zu überzeugen, dass ein neues, 21 Hektar großes Gewerbegebiet ein wichtiger Schritt in die Zukunft sei. Wie passt das für Sie zusammen?
Ich denke, man muss dabei den Gesamtzusammenhang betrachten. Wenn man schaut, woran liegt es, dass es solche Wetterphänomene gibt, dann ist klar, das sind Kennzeichen des Klimawandels. Also, was kann man dagegen tun? Zunächst einmal CO2-Emissionen reduzieren. Das betrifft Industrie, Haushalte und Verkehr. Es braucht also auch Flächen, um diese Technologien herstellen zu können. Jede Neuausweisung von Gewerbegebieten bedeutet natürlich zusätzliche Flächenversiegelung. Das ist so. Die Vorgaben sind aber auch so, dass nur noch ganz geringe Mengen Oberflächenwasser abfließen dürfen aus so einem Gebiet. Der Großteil muss auf dem Gelände versickern können.
 

Technische Entwässerungssysteme sind nur begrenzt erweiterbar. Welche Alternativen sehen Sie, um Gewässer und Kanalisation zusätzlich zu entlasten?
Ich gebe Ihnen recht, unsere Kanalisation ist nicht auf solche Stark­regen-Ereignisse ausgelegt. Die einzige Möglichkeit besteht darin, mehr Wasser auf natürliche Weise versickern zu lassen. Bei privaten Grundstücken gibt es ja schon seit einigen Jahren die gesplittete Abwassergebühr. Die besagt, je weniger ihr auf eurem Grundstück versiegelt durch Bodenbeläge oder Dachflächen, des­to kostengünstiger. Bei größeren Flächen braucht es entsprechende Baumaßnahmen. Beim Bau der Eduard-Mörike-Halle in Ötlingen beispielsweise haben wir ein Regenrückhaltebecken von Beginn an mitgeplant. Flächendeckend die Kanalisation zu erweitern, das wird sicher nicht machbar sein. In Hanglagen sind es oft Kleinigkeiten, die einen Beitrag leisten können. Was ich in Lindorf erfahren habe, ist, dass dort Äcker früher so bewirtschaftet wurden, dass man die Furchen nicht von oben nach unten gezogen hat, sondern quer. Eine ganz einfache Maßnahme, um Wasser zurückzuhalten.
 

Muss kommunales Krisenmanagement nach all dem, was man in den vergangenen Tagen gesehen hat, völlig neu diskutiert werden?
Wir haben das zum Anlass genommen, zügig einen sogenannten Katastrophen- und Alarmplan in Auftrag zu geben. Das heißt, dass wir für verschiedenste Ereignisse wie Hochwasser, Brände oder auch Stromausfall eine klare Handlungsanweisung haben. Wer hat was zu tun und wie läuft die Zusammenarbeit der verschiedenen Organisationen.
 

Man sollte annehmen, das habe es bisher schon gegeben?
Das wurde oft diskutiert, aber klar dokumentiert gibt es das auf unterer kommunaler Ebene tatsächlich noch nicht. Deshalb ist es dringend notwendig, dass es so etwas für die Gesamtstadt gibt. Ein Plan, der das Zusammenspiel von Feuerwehr, Polizei, Rettungsdiensten und Bauhof regelt. Bisher hat das auch so gut funktioniert. Auch zuletzt am 24. Juni. In einem Katrastrophenfall bleibt aber keine Zeit, zu überlegen und zu diskutieren. Da ist es wichtig, dass Abläufe vorher klar dokumentiert sind.
 

Ist die Feuerwehr für größere Unwetter überhaupt gewappnet?
Ich habe den Eindruck, dass die Feuerwehr in der Hinsicht sehr gut ausgerüstet und auch ausgebildet ist. Wo die Feuerwehr technisch an Grenzen stößt, hat die Zusammenarbeit mit dem Technischen Hilfswerk meines Wissens immer gut funktioniert. Mir wurde bisher jedenfalls nichts zurückgemeldet, dass es in irgendeinem Bereich Schwierigkeiten gegeben hätte.
 

Ursachen für Unwetterkatastrophen sind nicht immer lokal. Wie wichtig ist es, dass Kommunen bei der Vorsorge zusammenarbeiten?
Das ist sicher wichtig, dass man mit seinen Überlegungen nicht an den Gemarkungsgrenzen Halt macht. Wasser kommt ja oft von weit her. Mit Dettingen beispielsweise sind wir im Moment im Austausch bei der Regenrückhaltung oder auch bei der Renaturierung von Bächen.
 

Zum Schluss noch eine ganz persönliche Frage. Sie sind Familienvater. Wie groß ist Ihre Furcht vor den Folgen des Klimawandels für künftige Generationen?
Furcht, würde ich sagen, habe ich keine, aber ich mache mir Sorgen. Weil ich denke, dass unsere Kinder eine andere Welt erleben werden, als wir sie unser ganzes Leben lang hatten. Die werden lernen müssen, mit solchen Extremen umzugehen. Das wird nicht einfacher, sondern eher schwieriger werden.

 

Jahrhundert-Extreme
in einer Dekade

Unwetter mit Starkregen, Sturm und Hagel nehmen auch in Kirchheim und Umgebung zu. In den vergangenen zehn Jahren wurde die Region dreimal von Extremereignissen heimgesucht, die trotz der Hochwasserschutzmaßnahmen der vergangenen Jahre zu Flutschäden führten. Nicht nur die Feuerwehr geht davon aus, dass die Ausnahme künftig zur Regel wird.


28. Juli 2013 Am späten Nachmittag ziehen schwere Unwetter mit Starkregen und Hagelschlag von Reutlingen kommend über Kirchheim und das Umland hinweg. Hagelkörner so groß wie Tischtennisbälle durchschlagen Dächer, Dachfenster und Windschutzscheiben an Autos und verwandeln Gewächshäuser in eine Trümmerlandschaft. Keller und Wohnungen werden massiv überflutet. In Kirchheim sind etwa 230 Feuerwehrleute zwei Tage lang im Dauereinsatz.
 

11. Juni 2018 Am Abend zieht eine mächtige Gewitterfront über Kirchheim hinweg in Richtung Notzingen. Durch die gewaltigen Regenmengen sind Ablaufkanäle und Verdohlungen in kürzester Zeit verstopft. Lindach und Lauter treten sofort über die Ufer. In Ötlingen sind der Duppiggraben und sämtliche Unterführungen komplett überflutet. Im Industriegebiet „Kruichling“ gelingt es Hilfskräften der Feuerwehr in letzter Minute, einen 81-Jährigen aus seinem steckengebliebenen Auto vor den Wassermassen zu retten.
 

23. Juni 2021 Die Innenstadt von Kirchheim gleicht einer Eiswüste, nachdem ein Hagelsturm am Abend über die Stadt hinweggezogen ist. Die Hagelkörner sind diesmal kleiner, aber umso zahlreicher. Die Folge: Ein Gemisch aus Eis, Wasser und Laub verstopft in Windeseile sämtliche Abflüsse und führt zu massiven Überschwemmungen. Die Menge an Laub macht den Feuerwehren beim Auspumpen von Kellern, Wohnungen und Fabrikgebäuden die Arbeit schwer. Die Feuerwehren der umliegenden ­Gemeinden leisten Hilfe. In der Kirchheimer Feuerwache wird ein Krisenstab mit Vertretern von Feuerwehr, Polizei, THW, Rettungsdiensten und der Stadtverwaltung eingerichtet.

Stadtbrandmeister Michael Briki geht davon aus, dass mit solchen Einsätzen in Zukunft regelmäßig zu rechnen sein wird. Die Feuerwehr bereite sich darauf vor durch die Anschaffung leistungsfähiger, spezieller Pumpen, die besser mit Laub und Schlamm zurechtkommen. Im Zuge der Sanierung des Technischen Zentrums in der Kirchheimer Henriettenstraße entsteht zudem ein Stabsraum mit neuester Technik. Von dort aus können die Einsätze aller Hilfsorganisationen effizienter koordiniert werden.     bk