Kirchheim
Preissteigerungen: „Durch Corona in die Armut gerutscht“

Soziales Der Diakonieladen in Kirchheim braucht dringend Kleider- und Sachspenden, auch Freiwillige werden benötigt. Die Kundschaft kommt wieder zurück, hat sich in der Pandemie aber verändert. Von Thomas Zapp

Eigentlich sind es gute Nachrichten für Annette Weißenstein: Seit im Einzelhandel die Corona-Beschränkungen aufgehoben wurden, können Kundinnen und Kunden auch im Kirchheimer Diakonieladen wieder normal einkaufen, nur die Mund-Nase-Maske müssen sie noch tragen und Abstand einhalten. „Wir sind froh, dass es wieder mehr Freiräume gibt“, sagt die Leiterin, die ihre Mitarbeiter täglich testen lässt. Für die gestiegene Nachfrage braucht sie jetzt wieder mehr Spenden. Das Angebot an Möbeln, Haushaltsgegenständen und Anziehsachen ist gerade im Vergleich zu normalen Zeiten überschaubar, denn auch die Spenderinnen und Spender haben sich in den vergangenen Wochen und Monaten zurückgezogen.

Probleme gab es auch wegen der Logistik. „Wir konnten zum Beispiel keine Möbel abholen, weil wir die Wohnungen ja nicht betreten durften“, erzählt Annette Weißenstein. Trotzdem habe man den Betrieb aufrecht erhalten, indem man Kunden zum Beispiel die Sachen nach Hause zum Anprobieren gegeben hatte. Sie ist aber froh, dass diese Zeit jetzt vorbei ist. „Dem Personal ist viel abverlangt worden“, sagt sie rückblickend.

Das Geschäft an der Hindenburgstraße füllt sich in diesen Tagen zusehends und die Leute sind entspannter. „Es gibt Zeit für Begegnungen, sie müssen sich nicht mehr gehetzt fühlen“, sagt sie. In der Corona-Zeit konnte sich nur eine Person in den Räumen aufhalten, für die Einkäufe wurden Zeitfenster vergeben. „Viele sind da lieber weggeblieben“, sagt sie. Bis heute vermisst sie einige ihrer Stammkundinnen und Kunden, sieht dafür aber viele neue Gesichter. „Durch die Corona-Krise sind viele in die Armut gerutscht“, glaubt sie. 

Zwei „Bufdis“ gesucht

Was der Leiterin des Diakonieladens besonders am Herzen liegt: Jeder ist dort willkommen, denn es geht nicht nach Einkommen. „Niemand muss sich stigmatisiert fühlen, weil er zu uns kommt“, sagt sie. Vielmehr gibt es für jeden gute Gründe, dort einzukaufen. „Manche kommen bewusst, weil sie nachhaltig leben wollen.“ Gute Gegenstände und Kleidungsstücke weiter nutzen, das bedeutet Müllvermeidung und schont die Umwelt. Und natürlich kann man auch den Geldbeutel schonen. Preise zwischen drei und 15 Euro für zum Teil noch hochwertige Kleidung, Hausrat, Spielwaren oder gute Möbel für 50, 60 oder höchstens 150 Euro. 

„Möbel sind im Verhältnis teurer, weil wir sie ja abholen, demontieren, wieder aufbauen und reinigen“, sagt Annette Weißenstein. Und dafür braucht sie wieder mehr ehrenamtliche Helfer, vor allem wo jetzt der Betrieb wieder zunimmt. „Ab sofort haben wir zwei Bufdi-Stellen zu besetzen“, sagt sie. Der Bundesfreiwilligendienst geht über ein Jahr und richtet sich sowohl an junge Menschen nach der Schule als auch ältere, die sich statt in Rente zu gehen noch fit genug fühlen, ein Jahr in einer sozialen Einrichtungen zu arbeiten. „Über Menschen mit Berufserfahrung würden wir uns sogar ausdrücklich freuen“, sagt Annette Weißenstein. 

Und die können im Diakonieladen viel erleben und lernen. „Wenn wir gespendete Kisten öffnen, gibt das jedes Mal Überraschungen. Es ist toll, was die Leute alles spenden“, sagt die Leiterin. Überhaupt gebe es viel Abwechslung. „Bei uns geht es immer turbulent zu.“

Info  Auch ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) ist im Diakonieladen möglich. Wer dazu weitere Informationen erhalten will, kann sich bei Annette Weißenstein melden unter der Telefonnummer 0 70 21/73  65 71 oder per Mail an a.weissenstein@kdv.es.de. Spenden können einfach im Laden in der Hindenburgstraße 4 in Kirchheim abgegeben werden. Für Abholungen kann man einen Termin unter 0 70 21/73 65 70 vereinbaren.

 

Ein Lichtblick in Zeiten explodierender Energiekosten

Jürgen Schietinger ist nicht nur selbstständiger Handwerker und Baustoffhändler, sondern lebt auch praktischen christlichen Glauben. „Wer sich des Armen erbarmt, der leihet dem Herrn; der wird ihm wieder Gutes vergelten“ zitiert er einen der „Sprüche“ aus der Bibel. In Zeiten steigender Energiepreise rutschen auch Menschen in die Schuldenfalle, die bislang einigermaßen über die Runden kamen. „Es gibt eine neue Schieflage“, sagt der Dekan des Kirchenbezirks Esslingen, Bernd Weißenborn.

Umso dankbarer ist er Menschen wie Jürgen Schietinger, denn der will etwas gegen diese Schieflage unternehmen: Mit seiner Aktion „Lichtblick“ spendet der Unternehmer und Handwerker einen Euro pro Arbeitsstunde an die Diakonie in Esslingen. Die verwaltet das Geld wiederum in einem Hilfsfonds. Gemeinsam mit dem Kirchenbezirk Esslingen hat die Diakonie bereits 20 000 Euro an „Startkapital“ eingezahlt. Zwei Unternehmen haben ihm spontan Unterstützung zugesagt. „Wenn jemand 15 Beschäftigte hat mit jeweils 40 Arbeitsstunden pro Woche, da kommt etwas zusammen“, hofft er.

Die Diakonie sorgt dafür, dass es gezielt eingesetzt wird. „Es gibt keine Auszahlung ohne Beratung“, betont der Kirchheimer Bezirksstellenleiter Reinhard Eberst. Oftmals wissen die Hilfesuchenden nicht, worauf sie Ansprüche haben. Da hilft erst mal die Beratung. Was teurer werdender Strom etwa für Hartz-IV-Bezieher bedeutet, erklärt der Kreisgeschäftsführer der Diakonie, Eberhard Haußmann: „Im Notfall bekommen sie ein Darlehen, das sie aber wieder abstottern müssen. Wie soll das gehen?“ Oder für Fälle, wie Reinhard Eberst einen schildert: den der arbeitslos gewordenen Frau, die ihren Strom nicht mehr bezahlen konnte, weil das Jobcenter die Stromkosten nach alten Tarifen berechnete und zudem ihre Stromheizung nicht berücksichtigte. Auch die Mieterhöhung von 420 auf 600 Euro fing das Jobcenter nicht auf. Die Diakonie konnte einiges durch Vermittlung auffangen, aber ein Restbetrag blieb. „Da haben wir geholfen“, sagt Reinhard Eberst.

Für diese Fälle wird es künftig mehr Rücklagen geben, auch dank der Initiative des Neuffener Unternehmers. Der Euro pro Arbeitsstunde ist übrigens nur eine griffige Formel, aber nicht bindend. „Jede Spende zählt, egal wie hoch“, sagt Jürgen Schietinger. Wer mitmachen will, kann unter dem Betreff „Kennwort Lichtblick“ auf das Konto beim Kreisdiakonieverband im Landkreis Esslingen einzahlen: Die IBAN lautet: DE12 6115 0020 0101 6731 85.                                                                              Thomas Zapp