Thomas Zapp: So wenig Begeisterung war noch nie vor einer WM: Zur fast schon gewohnten Korruption gesellt sich bei dieser Fußball-Weltmeisterschaft auch noch Homophobie, unmenschliche Arbeitsbedingungen und Energieverschwendung. Am Spielort laufen die Klimaanlagen in den Stadien wegen der Hitze auf volle Pulle, während viele TV-Zuschauer wahrscheinlich die Heizung runterdrehen müssen. Ganz ehrlich: Da ist auch mir fast die Lust vergangen. Aber deswegen wegschauen, wenn der Ball rollt – wem hilft das jetzt? So viel ist noch nie über die Missstände dort berichtet worden – sogar vom ZDF, das viel Geld für die Übertragungsrechte bezahlt hat. Keinem ausgebeuteten Arbeiter ist doch geholfen, wenn niemand auf sein Schicksal aufmerksam wird. Nun schaut die ganze Welt auf Katar und ich auch: Allein um zu sehen, ob und welche Proteste es gibt, welche moralischen Verrenkungen die Moderatoren unternehmen und ob sich Manuel Neuer doch traut, die „echte“ Regenbogenbinde anzulegen.
Irene Strifler: Eine „Sicherheitsgarantie“ für Homosexuelle hat sich Innenministerin Faeser direkt vom Premierminister von Katar geben lassen. Geht’s noch? Allein die Notwendigkeit einer solchen Forderung im 21. Jahrhundert ist Grund genug für einen WM-Boykott. Umso mehr, wenn man um die Zustände in Katar weiß: Ein Land, das Frauenrechte mit Füßen tritt, Menschenrechte generell missachtet und keine (Presse-)Freiheit kennt. Ein Land, das keinerlei Fußballtradition hat, aber dafür jede Menge Kohle. Ein Land, das sich den prestigeträchtigen Wettkampf notfalls einfach einkauft, klimatisierte Stadien unter Menschenopfern über Nacht aus dem Boden stampft und Fans für gute Stimmung anheuert. – Nicht mit mir! Zugegeben: Das persönliche Opfer ist gering für jemanden, der nicht für König Fußball lebt. Doch gerade wer den Fußball liebt, kann diese WM nur hassen. Deutschlandweit protestieren die, die wirklich etwas davon verstehen: „Mehr Tote als Spielminuten!“ steht vorwurfsvoll auf Fantransparenten in zahlreichen Stadien. Wer will da noch Fußball schauen?