Hausärzte sehen sich vor einem großen Dilemma: Das Gesundheitssystem stellt sie vor Rahmenbedingungen, die sich in der Praxis kaum mehr umsetzen lassen. Dagegen wollen sie protestieren. Wenn sie aber komplett in den Streik treten,
würden sie ihren Protest auf dem Rücken der Patienten austragen. Dabei haben sie ursprünglich einmal ihren Beruf ergriffen, um für die Patienten da zu sein und ihnen zu helfen.
Bundesweit protestieren Hausärzte gegen zu viele gesetzliche Vorgaben, die aus ihrer Sicht unsinnig sind – weil sie Arbeitskraft binden, ohne dass dieser Arbeitsaufwand den Patienten zugutekommen könnte. Die Hausärzte in Kirchheim und Umgebung schließen sich dem Protesttag Mittwoch, 7. Dezember, an.
Allerdings streiken sie nicht, indem sie ihre Praxen den ganzen Tag über schließen. Sie bieten stattdessen verkürzte Sprechzeiten an und bleiben für Notfälle telefonisch erreichbar. Ihre Hoffnung, die sie auch in Zeitungsanzeigen zum Ausdruck bringen, wendet sich direkt an die Patienten: Sie protestieren, „damit wir auch in Zukunft für Sie da sein können“. Nach Aussage von Dr. Thomas Löffler, der die presserechtliche Verantwortung für die Anzeigen im Teckboten übernimmt, haben alle Hausärzte aus Kirchheim und Umgebung unterzeichnet. „Das ist schon ein Votum“, sagt er zu dieser Einigkeit.
Die Coronakrise habe die Probleme des Gesundheitswesens deutlich gemacht, konstatiert Thomas Löffler und ruft die Anfragen zu Abstrichen, PCR-Tests und Impfungen in Erinnerung, die es in jeder einzelnen Praxis zu bewältigen galt: „Da kommt es ganz schnell zu drei bis vier Anrufen, wo früher mal ein einziges Telefonat genügt hätte. Heute stehen die Apparate fast nicht mehr still. Unser Praxispersonal ist da deutlich stärker gefordert als früher.“
Hinzu kommt der Fachkräftemangel, der alle Branchen erreicht hat – auch die medizinische. Verschärft werde das in den Arztpraxen durch die ungünstigen Rahmenbedingungen: „Viele unserer Leute, in der Medizin wie in der Pflege, gehen nach Österreich oder in die Schweiz, weil sie dort viel bessere Bedingungen vorfinden.“ Wer in diesem Bereich arbeite, wolle etwas geben. Der ungeheure Zeitdruck dagegen führe – gerade auch in der Pflege – auf Dauer entweder zur Kündigung oder aber in den Burn-out.
Als wesentliches Beispiel für unnötige Arbeiten, die die Politik dem medizinischen oder pflegerischen Personal auferlegt, nennt Thomas Löffler die Dokumentationspflicht, die immer umfangreicher werde. Das gehe mitunter zwischen Altenheimen und Arztpraxen munter hin und her: „Die Pflegekräfte sitzen fast nur noch vor ihrer Statistik. Wir kriegen dann am Monatsende die Meldung, dass ein Patient im vergangenen Monat 600 Gramm abgenommen habe. Diese Meldung entlastet die Pflegekräfte dahingehend, dass sie ihre Dokumentationspflicht erfüllt haben, das verstehe ich ja. Aber bei uns gehen jede Menge solcher Faxe ein, die wir dann alle abarbeiten müssen.“
„Fast immer ,ohne Befund’“
Auch für die Ärzte hält die Bürokratie viel unnötige Arbeit bereit: „Früher hat es genügt, genau die Punkte zu dokumentieren, die eine konkrete Krankheit betreffen. Heute müssen wir jede Kleinigkeit notieren und dahinter fast immer ,ohne Befund’ schreiben.“
Als ein weiteres Problem benennt Thomas Löffler die Anschlussheilbehandlung nach einer Operation. Die Reha, die dazu dient, die Mobilität der Patienten zu aktivieren, müsse spätestens sechs Wochen nach der Operation angetreten werden. Wenn aber die Wunden nicht schnell genug verheilen, könne die Reha vielleicht erst nach acht Wochen angetreten werden – ein Fall, der häufig vorkommt: „Das ist so aber nicht vorgesehen. Eigentlich würde dafür ein einziges Zusatzformular genügen. Aber wir müssen dann trotzdem den gesamten Antrag noch einmal von vorne ausfüllen.“
Die Digitalisierung sieht Thomas Löffler als richtig und wichtig an. Eine Schwierigkeit damit hat er nur, wenn sie zu mehr bürokratischem Aufwand führt: „Die Digitalisierung bringt uns oft mehr Arbeit als sie einsparen hilft.“
Die Coronakrise schlage außerdem unerbittlich zurück: „Jetzt kommen die Leute mit den ganzen Atemwegserkrankungen, die es fast drei Jahre lang nicht mehr gab, weil alle zuhause geblieben sind.“ Deswegen seien auch die Kinderkliniken überfüllt.
Eine wirkliche Besserung ist laut Thomas Löffler nicht in Sicht. In Zukunft werde die Zahl der Arztpraxen abnehmen, weil auch bei vielen Ärzten der Ruhestand ansteht: „Wir brauchen dringend mehr Medizinstudenten“, sagt Thomas Löffler. Weil immer häufiger der Wunsch nach Teilzeitarbeit aufkommt, sieht Thomas Löffler auch die Einzelpraxis nicht mehr als Zukunftsmodell. Der Trend gehe zu Gemeinschaftspraxen und Ärztezentren.