Kirchheim
Putzreste zeigen, wie bunt die Martinskirche einmal war

Archäologie   Rainer Laskowski stellt in seinem Jahresvortrag drei Themen in den Mittelpunkt: das „Schlösslespfarrhaus“ in Owen, die Steigen in Gutenberg sowie die Funde in der Kirchheimer Martinskirche.  Von Andreas Volz

Bei der Innensanierung der Kirchheimer Martinskirche kam auch die Archäologie ins Spiel: Der Aushub aus den Gräben wurde gründlich durchgesiebt.      Archivfoto: Carsten Riedl

„Fundamental“ hat er begonnen, Rainer Laskowskis archäologischer Jahresrückblick im Spitalkeller der Volkshochschule: Zu Beginn berichtete der Leiter der Kirchheimer Archäologie-AG nämlich von der Freilegung der Fundamente am Owener „Schlösslespfarrhaus“. Die dortige Peterskapelle sei gegen Ende des 30-Jährigen Kriegs von schwedischen Soldaten zerstört worden. Jetzt allerdings seien bei der Freilegung in der Südostecke – in Richtung Marienkirche – Steine aufgetaucht, die Laskowski dieser Peterskapelle zuordnet: „Wir gehen davon aus, dass da ein Stützpfeiler der Kapelle gewesen sein könnte.“ Jedenfalls sei dieses mutmaßliche Pfeilerfundament „deutlich älter als das Mauerwerk, das da aufsitzt“.

Der Grund für die Freilegung der Fundamente war eine befürchtete Bodenabsenkung, die Risse im Mauerwerk zur Folge hätte haben können. Rainer Laskowski konnte in diesem Fall aber Entwarnung geben: „Die Schäden stammen vom Efeu, der jetzt entfernt werden musste. Deswegen brauchte es auch keinen Beton, um das Fundament zu stützen, wie das ursprünglich vorgesehen war.“
 

Fliesen zeigen Wilden Wein

Nicht so mächtig, aber ähnlich wichtig wie das Pfeilerfundament sind die Kleinfunde an derselben Stelle, die Rainer Laskowski vorstellte: ein Stück einer Fußbodenfliese, die reich verziert war, mit Eichen- und Rebenblättern – Blättern vom Wilden Wein: „Im frühen 14. Jahrhundert, als die Peterskapelle gestiftet und erbaut wurde, hat der Weinbau in Owen bereits eine Rolle gespielt.“ Weinberge der Herzöge von Teck seien sogar schon für das 13. Jahrhundert urkundlich belegt.

Zeitlich noch weiter zurück ging Rainer Laskowski, als er auf Funde zu sprechen kam, die schon 1917 in Gutenberg freigelegt worden waren, die aber nach wie vor „nicht vernünftig publiziert“ seien. Der „verkümmerte Standzapfen“ eines Amphorenrests lässt sich auf die Zeit zwischen Ende des 2. Jahrhunderts und der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts datieren. Kurz danach endete die Römerzeit im Lenninger Tal. Zu diesem Thema gebe es aber noch viel zu erforschen, beispielsweise die Wegeverbindungen. Rainer Laskowski geht von einem römischen Steighof aus, der sich einst in Gutenberg befunden habe: „Bei Steigen braucht man Vorspann für die Fuhrwerke. Außer Pferden oder Ochsen für den Vorspann boten solche Höfe auch Übernachtungsmöglichkeiten an.“

Bis in die Neuzeit hinein seien die Steigen von existenzieller Bedeutung gewesen für die Gutenberger: „Unten im Tal fehlen die Ackerflächen. Die Gutenberger Äcker waren also oben auf der Alb. Und dafür brauchte es den Eselssteig.“ Auch die Müller hätten diesen Steig genutzt, um ihr Mehl auf die Alb zu transportieren, denn das Getreide, das oben wuchs, ließ sich nicht an Ort und Stelle mahlen – mangels Wasser auf der Albhochfläche.
 

Backsteinboden im Kirchenschiff

Die Verbindung herzustellen zwischen Gutenberg und Owen einerseits sowie der Kirchheimer Martinskirche andererseits, war eine der leichteren Übungen für Rainer Laskowski, der betonte: „Wenn man die Zusammenhänge erkennen will, kommt man nicht weiter, wenn man sich nur auf Kirchheim oder nur auf die Martinskirche bezieht.“ So gebe es Baurechnungen aus dem Jahr 1575, die belegen, dass Kalktuff aus Gutenberg ebenso für die Kirchheimer Martinskirche verwendet wurde wie Schiefer aus Holzmaden.

Der Zusammenhang zwischen Owen und Kirchheim wiederum bestand aus den verzierten Bodenfliesen: „So etwas lässt sich eher im Chor finden als in einem Kirchenschiff.“ Das belegen Funde in der Martinskirche: „Da sind wir im Hauptschiff, und dort wurden Backsteine gefunden – ein Boden ohne jede Verzierung.“ In Resten sei außerdem auch ein älterer Steinplattenboden erhalten.

Günther Frey, mit dem sich Rainer Laskowski beim Thema „Martinskirche“ die Moderation teilte, verwies allerdings darauf, dass die neuen Schächte bei den aktuellen Arbeiten nur bis in 80 Zentimeter Tiefe reichen, sodass es nicht möglich war, in Schichten aus der alamannischen Zeit vorzudringen.
 

Bilder in der Sakristei

Dennoch reichen die Funde aus, um die Geschichte der Martinskirche komplett neu zu schreiben, wie Rainer Laskowski immer wieder betonte. Als „sensationelle Entdeckung in einer Grube“ bezeichnete er bemalte Putzreste, die aus der Zeit um 1600 stammen dürften: „Da war die Martinskirche noch bemalt.“ Die gleichen Farben finden sich in der Sakristei, im Bild des gehörnten Moses.

Der Heilige Georg als Drachentöter in der Sakristei der Martinskirche.          Foto: Günther Frey

Über vier weitere Bilder in der Sakristei referierte Günther Frey. Dargestellt sind vier Heilige: Georg, Urban, Oswald sowie mutmaßlich der französische König Ludwig IX. Papst Urban I. gilt, wenn auch wegen einer falschen Zuschreibung, als Patron der Winzer und der Küfer. Das ist also eine weitere Parallele zu den Owener Bodenfliesen. Urban steht demnach für die Bedeutung, die der Weinbau auch in Kirchheim hatte. Die anderen drei Heiligen haben sich im Kampf gegen Drachen und gegen Heiden hervorgetan. Günther Frey sieht darin einen aktuellen Aspekt aus der Entstehungszeit der Bilder: 1453 war mit dem Fall Konstantinopels das byzantinische Reich untergegangen, was wohl auch im württembergischen Kirchheim als Bedrohung wahrgenommen wurde.

Bedroht war später die Martinskirche selbst – und zwar durch Umbauten im ausgehenden 19. Jahrhundert. Schon 30 Jahre vor Heinrich Dolmetsch war Christian Friedrich Leins ab 1869 in der Martinskirche zugange. Eine seiner Hauptarbeiten war die Vereinheitlichung der Nord- wie auch der Südfassade. Verloren gegangen sind dadurch allerdings die früheren Bauzeugnisse, die sich paradoxerweise aber in Leins’ Zeichnungen vom vorherigen Zustand noch erkennen lassen. Wichtige Funde für die Baugeschichte der Martinskirche lassen sich demnach nicht nur im Boden machen, sondern auch in Archiven.