Kirchheim
Ratlos in Richtung Ferien

Impfen Die angekündigte Offensive vor Weihnachten stößt in Schulen auf Kritik. Viele Eltern sind angesichts geteilter Expertenmeinung verunsichert.  Von Bernd Köble

Möglichst schnell, möglichst viel, möglichst alle – die letzten Schultage vor den Weihnachtsferien sollen nach den Plänen der Landesregierung dafür genutzt werden, im großen Stil auch an Schulen zu impfen. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und sein Fraktionschef Andreas Schwarz aus Kirchheim hatten am Dienstag auch Aulen, Pausenhöfe und Schulparkplätze als Impf-Standorte vorgeschlagen. Die Schulen seien der zentrale Ort, an dem man Schülerinnen und Schüler mit einem Impfangebot vor den Ferien erreichen könne, betonte Schwarz. Kretschmann schob allerdings kurz darauf nach, man müsse zwischen einer Idee und ihrer Umsetzbarkeit unterscheiden.

Eine Kluft, die vor allem die Schulverwaltung sieht. Im Grundsatz sei der Vorschlag ja richtig, aber im Detail leider nicht zu Ende gedacht – Corina Schimitzek, die Leiterin des Staatlichen Schulamts in Nürtingen, hat von den Plänen, wie sie sagt, aus der Zeitung erfahren. Für sie ist das Maß längst voll, wenn über zusätzliche Aufgaben diskutiert wird. Schulleitungen und Lehrkräfte bewegten sich seit Monaten am Limit. „Wenn wir das jetzt noch obendrauf packen“, sagt sie angesichts einer Unterrichtsversorgung von 80 Prozent, „ dann verlieren wir noch mehr Personal.“ Hinzu kommt, dass Lehrkräften von Elternseite mancherorts inzwischen blanker Hass entgegenschlägt. „Viele Kolleginnen und Kollegen fürchten deshalb, dass dieses Ressentiment wächst, sollte der Eindruck entstehen, Schulen würden
 

Unser Personal ist
absolut am Limit.
Corina Schimitzek
Die Leiterin des Staatlichen Schulamtes zum vorgeschlagenen Impfen in Aulen und in Pausenhöfen
 

das Impfen forcieren“, sagt Schimitzek. Ihr Vorschlag: Gebündelt und an neutralen Orten impfen, so wie das zu Schuljahresbeginn auf dem Kirchheimer Ziegelwasen bereits praktiziert wurde. Im September schon hatten Sozialminister Manne Lucha und Kultusministerin Theresa Schopper Eltern dazu aufgerufen, ihre Kinder impfen zu lassen. Für Schimitzek ist klar: Es geht nur mit Unterstützung von kommunaler Seite und nur an Plätzen mit entsprechendem Raumangebot. Pausenhöfe dürften nicht von Impfbussen blockiert werden und es brauche Parkplätze für Eltern, die in vielen Fällen dabei sein müssen. „Stellen Sie sich das mal im Kirchheimer Freihof vor“, meint die Schulamtschefin. 

Ähnlich sieht es auch Thorsten Bröckel, Rektor der Alleenschule und seit September geschäftsführender Schulleiter der Kirchheimer Schulen. Auch er hält die Idee der Landesregierung für falsch. Nicht nur wegen des zusätzlichen organisatorischen Aufwands. „Es ist auch nicht unsere Aufgabe“, sagt er. Zwar ändere sich die Stimmung bei den Eltern im Augenblick spürbar. Die meisten Maßnahmen würden inzwischen mitgetragen, berichtet Bröckel, doch Ressentiments blieben. „Das muss man jetzt nicht noch befeuern.“

Eine Erfahrung, die auch Marc Lippe macht. Der Bezirkschef der Malteser wird bei seiner Arbeit immer wieder mit Störfeuer durch Protestgruppen konfrontiert, die sich vor allem gegen das Impfen von Kindern richten. Auch er, bei dem die Fäden der meisten Impfaktionen im Kreis zusammenlaufen, hält die Schule für den falschen Ort. Während bei über 16-Jährigen die Einwilligung der Eltern genügt, müssen sie bei Jüngeren beim Impfen dabei sein. Da gibt es Aufklärungs- und jede Menge Redebedarf. „Für Ärzte und Impfteams bedeutet das einen hohen Aufwand“, sagt Lippe. „Das würden wir ungern an Schulen machen.“ 

Im Moment wären ohnehin nur die weiterführenden Schulen mit im Boot. Frühestens Mitte des Monats wird mit einer Impfempfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) für Unter-Zwölfjährige gerechnet. Vorher wird auch kein Kinder-Impfstoff verfügbar sein. Wenn es soweit sein sollte, sagt Marc Lippe, „dann hoffen wir, dass das die Kinderärzte abbilden“.

Doch wie sicher sind überhaupt Impfungen für Kinder? In diesem Punkt herrscht Ratlosigkeit bei vielen Eltern, nicht erst seit Stiko-Chef Thomas Mertens in dieser Woche eingeräumt hat, er würde seine eigenen Kinder wegen unzureichender Datenlage im Moment noch nicht impfen lassen. Eine verbreitete Verunsicherung nimmt auch Sven Dahlmeier, Elternbeiratsvorsitzender am Kirchheimer Schlossgymnasium, wahr – ob begründet oder nicht, wie er sagt. Er selbst sieht sich als Impfbefürworter und würde auch Impfaktionen im Schulbereich nicht grundsätzlich ausschließen. „Ein freiwilliges Angebot zu machen, ist in jedem Fall sinnvoll, egal wie und wo.“ Allerdings glaubt er nicht, dass sich die große Mehrheit der Eltern im Moment überzeugen lässt. Auch nicht durch wachsenden Druck von Politik und Öffentlichkeit. „Ich fürchte, der ist eher kontraproduktiv.“

 

Kirchheim verhandelt mit Ärzten

Die Stadt führt zurzeit intensive Gespräche mit niedergelassenen Ärzten, um Schulen vor Beginn der Ferien ein zusätzliches Impfangebot zu machen. „Wir prüfen zurzeit, wer das machen könnte und an welchen Orten,“ sagt der Sprecher der Stadt, Robert Berndt.
In der Kirchheimer Stadthalle wird seit zwei Wochen unter der Regie des Malteser Hilfsdienstes immer dienstags zu festen Zeiten geimpft. Dieses Angebot auszuweiten, wird als Option ebenso geprüft, wie das Vogthaus in der Widerholtstraße, das in unmittelbarer Nachbarschaft zur größten hausärztlichen Gemeinschaftspraxis liegt.
In der Stadthalle im Kirchheimer Teckcenter sind für Dezember bereits sämtliche Kulturveranstaltungen und Vereinsversammlungen abgesagt, um möglicherweise Platz für zusätzliche Impfaktionen zu haben. Einzige Ausnahmen sind Sitzungen der Verwaltung, wie der Ausschuss für Bildung, Soziales und Bürgerdienste am kommenden Dienstag, für den die Malteser mit ihrem Impftag in die Jesinger Gemeindehalle ausweichen müssen. Auch die Blutspende-Aktion des Roten Kreuzes am 23. Dezember soll wie geplant in der Stadthalle stattfinden. bk