Kirchheim
Redensarten, die Europa verbinden

Lesung Der Literaturwissenschaftler, Moderator und Entertainer Rolf-Bernhard Essig begeistert sein Publikum in der Kirchheimer Stadtbücherei. Von Ulrich Staehle

Der Kurator der Ausstellung "Nicht mit dem Latein am Ende", Dr. Rolf-Bernhard Essig, präsentierte „Phönix aus der Asche! Ein heiteres Erzählprogramm über Redensarten, die Europa verbinden“ in der Kirchheimer Stadtbücherei. Foto: Markus Brändli

Sowas gab’s noch nie bei einer sonntäglichen Matinee in der Stadtbücherei. Zehn Minuten vor Beginn steht noch eine lange Schlange von Interessenten vor der Kasse bis auf die Straße hinaus. Spontan wird eine sofortige Wiederholung der Veranstaltung angekündigt, um die Leute nicht fortzuschicken, denn alle Plätze sind besetzt.

Im Max-Eyth-Haus ist eine hochinteressante Ausstellung über Redensarten mit dem Titel „Mit dem Latein am Ende“ zu sehen, die von Rolf-Bernhard Essig kuratiert wurde. Im Begleitprogramm dieser Ausstellung war eine Veranstaltung des Kurators unter dem Titel „Phönix aus der Asche“ angekündigt, als „heiteres Erzählungsprogramm über Redensarten, die Europa verbinden“. Zugrunde lag bei der Präsentation Essigs Buch mit gleichem Titel von 2021.

Wahres Multitalent

Dieser Rolf-Bernhard Essig gilt als „Redensartenpapst Deutschlands“, zitierte die Leiterin des Kornhausmuseums und Gastgeberin Stefanie Schwarzenbek bei der Begrüßung. Essig ist promovierter Literaturwissenschaftler, Moderator, Entertainer, Ausstellungskurator, Autor von Büchern und Publizist in verschiedenen Zeitungen und präsent im Radio und Fernsehen – ein wahres Multitalent.

Durch seine Art der Präsentation ist er unverwechselbar. Der Stoff, den er bietet, sollte lebendig und vergnüglich herüberkommen. Das sieht dann in der Stadtbücherei so aus: Der großgewachsene Mann steht auf einem Podest ohne Pult und findet sofort die Nähe zum Publikum. Durch seine Redegewandtheit und seine Begeisterung für die Sache gelingt es ihm, die Zuhörenden in seinen Bann zu ziehen. Oft befindet er sich im direkten Dialog mit dem Publikum. Der ganze Vortrag ist von Humor getragen, es darf oft gelacht werden.

Geschichte vom geschenkten Gaul

Inhaltlich stieg Essig mit den „Argusaugen“ ein, um ein Beispiel einer in ganz Europa verbreiteten Redensart zu geben. Argus ist ein sagenhafter Riese mit 100 Augen, von denen 50 immer im Wechsel wach sind: Er steht also für jemanden, dem nichts entgeht. Auch nicht die Betrügereien von Zeus, der seine Gemahlin Hera mit Io betrügt. Hera verwandelt Io in eine Kuh und ließ sie von Argus bewachen. Dem Götterboten Hermes gelingt es, ihn mit einem Schlaflied einzuschläfern und zu töten. Hera verwandelt daraufhin ihren toten Wächter in einen Pfau. In dessen Schwanzfedern schimmern die 100 Augen bis heute. Eine wunderbare alte griechische Sage, die dieser Redewendung zugrunde liegt.

Genauso wie bei der titelgebenden Redensart „Wie Phönix aus der Asche“. Die Sage erzählt von dem Vogel, der sich in seinem Nest der Sonne entgegenstreckt, verbrennt und verjüngt davonfliegt.

Nachdem der Referent und Moderator noch weitere populäre Redewendungen mit biblischem Hintergrund wie „Ein Salomonisches Urteil“ oder „Ein Buch mit sieben Siegeln“ vorgestellt und erläutert hat, zeigte er ein mitgebrachtes Pferd als Stofftier. Nun war natürlich vom „Trojanischen Pferd“ und vom geschenkten Gaul, dem man nicht ins Maul schaut, die Rede. Auch bei weiteren, aus dem Publikum „herausgekitzelten“ Redewendungen finden sich aktuelle Zeitbezüge, wie beim „Vatikanischen Roulette“, der vom Vatikan empfohlenen natürlichen Empfängnisverhütung. Als nächstes Plüschtier gab ein Fuchs Anstoß für Redensarten von den Trauben, die zu sauer sind, oder seiner Schlauheit bei der Beuteteilung mit dem Löwen. Danach erinnerte noch eine Plüschmaus an die „arme Kirchenmaus“.

Als gesamteuropäisch sind die Redewendungen „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er selbst die Wahrheit spricht“ und die legendäre Feindschaft zwischen Hund und Katze einzuordnen. Bei dieser Redensart präsentierte sich Essig als professioneller Vortragskünstler. Er bot Wilhelm Buschs Gedicht „Zu guter Letzt. Hund und Katze“, in dem zum Schluss die Barmherzigkeit über die Feindschaft siegt. Europa hat einen gemeinsamen Schatz von Redewendungen. Diese kulturelle Gemeinsamkeit gibt dem europäischen Gedanken Aufschwung.

Sozusagen im zweiten Teil wurde Essig doch noch systematisch, indem er die Grundlagen der gesamteuropäischen Redensarten sortierte. Er teilte sie in die Gebiete Fabeln, Märchen, Rechtsbasis (gemeint ist die Nachwirkung des Römischen Rechts), Sport und Literatur ein mit jeweiligen Beispielen wie „in dubio pro reo“ (im Zweifel für den Angeklagten) beim Recht oder „ein Eigentor schießen“ beim Sport.

Wiederholung im Anschluss

Zum Schluss wurde es noch einmal höchst lebendig und unterhaltsam. Essig ließ sich vom Publikum Länder zurufen und servierte sofort Redensarten aus ihnen, zum Teil in der Originalsprache. Zur Bewunderung der Zuhörerinnen und Zuhörer, die über ein solches Wissen und solche Sprachkenntnisse staunten. Die gewünschte Zugabe fand mit dem Verweis auf die unmittelbar anschließende Wiederholung der ganzen Veranstaltung nicht statt.

In der Pause war der Autor Rolf-Bernhard Essig mit dem Signieren seines Buches beschäftigt. Man fragte sich, wie ein Referent, der mit solchem Engagement zu Werke geht, zu einer sofortigen Wiederholung allein kräftemäßig in der Lage ist.