Die frühere Postplatz-Apotheke in Kirchheim ist seit 2020 geschlossen. Jene in Owen bereits seit 2014, eine Nachfolge ist nicht in Sicht. „Schließungen gab es allein in diesem Jahr unter anderem in Aichtal-Grötzingen und Unterensingen und das werden sicher nicht die letzten sein“, betont Dr. Tobias Raichle, Filialleiter in der Kirchheimer Ärztezentrum-Apotheke. Gemeinsam mit seinem Kollegen Dr. Matthias Kühnle, der drei eigene Apotheken in Notzingen, Schlierbach und Hochdorf führt, spricht er über die Folgen des umstrittenen Gesetzentwurfs des Bundesgesundheitsministers, der am morgigen Mittwoch dem Bundeskabinett vorgelegt werden soll.
Das Sterben von Apotheken hat bereits begonnen und wird eher noch beschleunigt.
Dr. Tobias RaichleLeiter der Ärztezentrum-Apotheke
Beide Apotheker hoffen, „dass der Entwurf in der aktuellen Form abgeändert wird.“ Raichle und Kühnle hatten sich wie viele ihrer Kolleginnen und Kollegen am bundesweiten Protesttag von knapp 18.000 Apotheken am 14. Juni vergangenen Jahres beteiligt, ebenso am Streiktag im November. Die Umsetzung der Reform Lauterbachs habe zur Folge, dass das bereits begonnene Apothekensterben nochmals beschleunigt werde. "Besonders im dezentralen, ländlichen Raum“, sagt Tobias Raichle.
Der Betrieb sei vielfach nicht mehr wirtschaftlich, das finanzielle Risiko zu groß. Ein Drittel aller Apotheken in Deutschland sei bereits in der Existenz gefährdet. „Seit über 20 Jahren wurde die Vergütung bei verschreibungspflichtigen Medikamenten, die rund 80 Prozent unseres Umsatzes ausmachen, nicht mehr angepasst“, schildert Matthias Kühnle eines der zentralen Probleme der Branche. In Zahlen bedeutet das: Pro Packung eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels bekommen Apotheken drei Prozent auf den Einkaufspreis sowie einen Fix-Zuschlag von 8,35 Euro. Davon müssen sie den Krankenkassenabschlag von derzeit zwei Euro abführen. „Damit ist die Vergütung auf das Niveau von 2004 gesunken, bei deutlich gestiegenen Lohn- und Betriebskosten“, erklärt Tobias Raichle, „rund zwölf Euro wären pro Packung nötig, um lediglich die Inflation abzufedern.“
Weitere Wege für die Kunden
Nicht mehr lukrativ und dazu aufgrund vieler Vorgaben zu bürokratisch, sei zudem das Zusatzgeschäft der medizinischen Hilfsmittelversorgung: Die Krankenkassen bezahlen den Apotheken teils nur 75 Prozent des Einkaufspreises. Diese bekommen also weniger, als sie selbst dafür bezahlen. „Patienten müssen schon jetzt weite Wege auf sich nehmen, um ihre benötigten Hilfsmittel zu bekommen“, so Raichle. Das werde mit einer abnehmenden Versorgungsdichte nicht besser. „Keine geschlossene Apotheke spart etwas ein im System. Die Patienten benötigen ihre Medikamente ja trotzdem und müssen dann in eine weiter entfernte Apotheke gehen“, ergänzt Matthias Kühnle. Je weniger es gebe, desto mehr müssten die verbliebenen abfedern. „Aber je mehr Patienten von einer Apotheke versorgt werden, umso höher sind deren finanziellen Aufwände. Das ist ein Teufelskreis.“ Laut einem Bericht des Landesapothekenverbands fielen in den vergangenen zehn Jahren rund 16 Prozent der Apotheken bundesweit weg, allein im letzten Jahr gab es 500 Schließungen und nur 62 Neueröffnungen.
Chronische Unterfinanzierung
Das Vorhaben Lauterbachs, Apotheken künftig ohne Apotheker vor Ort betreiben zu können, wenn diese oder dieser sich bei Bedarf per Video zuschaltet, halten Tobias Raichle und Matthias Kühnle für den völlig falschen Weg und kaum umsetzbar. „Wir sitzen ja nicht untätig rum und warten nur auf den nächsten Video-Anruf“, so Raichle angesichts des akuten Personalmangels sowohl unter den Apothekern, als auch bei den PTAs (Pharmazeutisch Technischen Assistenten). Ist kein Apotheker vor Ort, dürfen PTAs laut dem Gesetzentwurf häufig benötigte Betäubungsmittel, also opioide Schmerzmittel, nicht abgeben. Unrealistisch sei zudem die Argumentation Lauterbachs, die Reform setze Anreize, zusätzliche „Zweigapotheken“ zu gründen: „Der Personalmangel ist schon jetzt so massiv, dass das nicht funktioniert“, so Kühnle. Beide Apotheker sind sich einig, dass das gesamte deutsche Gesundheitssystem ein chronisches Unterfinanzierungsproblem hat. Für die von den Leistungserbringern gemachten Finanzierungsvorschläge habe sich besonders das von Lauterbach geführte Gesundheitsministerium nicht interessiert. Das zeige die geplante Apothekenreform erneut.
Kritische Punkte der Apothekenreform
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach plant, dass Apotheken auch ohne die Anwesenheit eines Apothekers geführt werden können. Dieser soll sich auf Abruf per Video zuschalten. Mindestens acht Stunden soll sich die Leitung pro Woche in der Apotheke aufhalten.
Es sollen Anreize zur Gründung von bis zu 100 Zweigapotheken gesetzt werden. Jeder Inhaber darf künftig zwei eröffnen, zusätzlich zur Haupt- und maximal drei Filialapotheken. Das gehe angesichts des bestehenden Personalmangels und mangelnder Wirtschaftlichkeit völlig an der Realität vorbei, so die Kritik.
Filialen sollen außerhalb benachbarter Kreise eröffnet werden können. Die Prüfung und Herstellung von Arzneimitteln sollen an einer Apotheke des Verbunds stattfinden dürfen. Das gehe in Richtung „Apotheke light“, kritisieren die Fachkreise.
Die Vergütung für rezeptpflichtige Arzneimittel soll von 8,35 Euro pro Packung in zwei Schritten auf 8,66 Euro 2025 und 9 Euro 2026 erhöht werden. Im Gegenzug sinkt die prozentuale Vergütung von drei auf letztlich zwei Prozent. Die Honorierung wird also umverteilt, es fließt kein zusätzliches Geld in das System.
Die Öffnungszeiten könnten sich ändern: Montags bis freitags müssten Apotheken mindestens sieben, samstags vier Stunden geöffnet sein. Das bedeutet die Kunden bis zu 19,5 Stunden weniger pro Woche.