Sport kann für Kinder hart sein: Manche können sich noch so sehr anstrengen, sie werfen oder springen einfach nicht so weit und laufen nicht so schnell wie die meisten anderen. Veranstaltungen wie die Bundesjugendspiele sind daher für manche ein Graus. Im kommenden Schuljahr wird der Schülerwettbewerb für Grundschulen jedoch abgeschwächt (siehe Kasten). Die Landesschülervertretung Rheinland-Pfalz (LSV) geht aber noch weiter: Sie hat die komplette Abschaffung der Bundesjugendspiele gefordert. Begründung: Sie setzten die Schülerinnen und Schüler einem „starken und absolut unfairen“ Wettbewerbsdruck aus, anstatt den Spaß am Sport zu fördern.
Der pensionierte Kirchheimer Sportlehrer Hans-Joachim Brenner sieht das anders. „Das Leistungsprinzip auszuschalten ist falsch“, sagt der sportliche 70-Jährige, der von 1982 bis 2017 am Kirchheimer LUG unterrichtet hat und heute noch Vorsitzender des Stadtverbands für Leibesübungen ist. Die Diskussion über die seit 1951 stattfindenden Bundesjugendspiele sei keineswegs neu, betont er. Schon in den 70er Jahren habe man über das Leistungsprinzip im Sport diskutiert. „Man glaubte, dass Leistungen nicht bewertet werden können, wenn die individuellen Voraussetzungen nicht berücksichtigt werden.“ An den Bundesjugendspielen gab es aus verschiedenen Gründen Kritik: Das lange Warten und die relativ kurze Aktionszeit, die in Summe nicht viel mehr als drei Minuten für Laufen, Springen und Werfen beträgt. Am LUG habe man daher einen Ausdauerlauf von rund 1000 Metern hinzugenommen. „Welche Disziplinen wirklich sein müssen – darüber kann man sich streiten“, meint der erfahrene Sportpädagoge.
Als Leistungsmessung haben Bundesjugendspiele für Hans-Joachim Brenner aber einen Wert. Jeglichen Vergleich abzuschaffen, lehnt er ab: „Ich halte nichts davon, die Leistungen zu nivellieren.“ Auch die Reform im deutschen Jugendfußball, dass in der G- und F-Jugend keine Meisterschaftsrunden mehr ausgespielt werden, „um den Leistungsdruck zu minimieren und den Spaß am Spiel in den Vordergrund zu stellen“, wie es beim DFB heißt, hält er nicht für zielführend. „Wenn jeder kann wie er will, sinkt das Niveau“, ist er überzeugt. Das merke man auch in den Nationalmannschaften.
„Halte wenig von Gleichmacherei“
Für den Sportunterricht könne er sich hingegen sehr gut vorstellen könne, flexible Bewertungskriterien einzuführen. Die habe ein Sportlehrer aber ohnehin schon. „Wer es trotz Anstrengung nicht besser kann, wird anders bewertet. Da muss es um Leistungszuwachs gehen. Wenn ein Kind beim Werfen von fünf auf sieben Meter steigert, weil es die Technik verbessert hat, sei das ein Erfolg. „Man muss die individuelle Leistung stärker betrachten.“ Da seien die Sportlehrer gefordert. Er habe auch mal vorgeschlagen, die Hochsprungnoten an die Körpergröße zu koppeln. „Das gab in der Schülerschaft Protest“, erinnert er sich. Keiner wollte offenbar eine Sonderbehandlung haben. Generell habe er versucht, im Sportunterricht möglichst viele Sportarten anzubieten, auch eher Randsportarten wie Badminton oder Hockey. Es ging auch mal in die Kletterhalle. „Die Kinder sollten sich ausprobieren können“, sagt er – und dabei vielleicht eine für sie geeignete Sportart finden.
Zurück zu den Bundesjugendspielen: Als Alternative schlägt die Schülervertretung die Einführung von Sportfesten vor. Diese sollten für alle Klassenstufen auf freiwilliger Basis stattfinden und den Fokus auf Miteinander und Teamarbeit legen. Das sieht Brenner anders: „Bundesjugendspiele halte ich für sinnvoll. Der Wettkampf ist wichtig, ich muss mich mit anderen messen.“ Wichtig sei dabei das Umfeld: „Wichtig ist, dass man es auffängt", sagt Hans-Joachim Brenner. Kinder, die ohnehin erfolgreich sind, müsse man nicht noch ausgiebig loben. Aber: „Von Gleichmacherei halte ich wenig.“
Entwicklung der Bundesjugendspiele: Kritik und Reform
In der Bundesrepublik wurden die Bundesjugendspiele im Jahr 1951 zunächst vom Bundesministerium des Innern, dann vom Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit für Schüler zwischen 8 und 19 Jahren ausgeschrieben. Seit dem Jahr 2001 gibt es die neuen Bundesjugendspiele, die als Individualwettbewerb in Geräteturnen, Leichtathletik und Schwimmen ausgeschrieben werden.
Doch seit Jahren regt sich Kritik: 2015 brachte die Konstanzer Stadträtin Christine Finke eine Petition ins Rollen. „Sport sollte Spaß machen und nicht nur für ein gutes Körpergefühl, sondern auch für Selbstbewusstsein sorgen, unabhängig vom Talent und Können des Einzelnen“, hieß es dort. Die Bundesjugendspiele in ihrer jetzigen Form würden Schüler demotivieren und „unter sozialen Druck“ setzen. Sie schrieb damals: „Heulender Sohn kommt mit „Teilnehmerurkunde“ von den Bundesjugendspielen heim. Erwäge Petition zur Abschaffung selbiger. Ernsthaft.“
Es tut sich etwas: Ab dem kommenden Schuljahr dienen die Bundesjugendspiele bis Klasse 4 nicht mehr als Leistungsvergleich der Kinder, sondern nur noch als Bewegungs-Motivations-Veranstaltung. Im Unterschied zum leistungsorientierten Wettkampf werden die Punkte für Leistungen nicht mehr nach bundesweiten Normgrößen vergeben. Bewegung und Freude sollen im Mittelpunkt stehen. Die Teilnahme an den Bundesjugendspiele ist bis zur zehnten Klasse verpflichtend. zap