Vorfälle
Reizgas an Kirchheimer Schulen: „Kein harmloser Streich“

Gleich zwei Schulen mussten in den vergangenen Wochen in Kirchheim geräumt werden, weil jemand Reizstoffe im Gebäude versprüht hatte. Was über die Verursacher bekannt ist und was ihnen droht. 

Wer über 14 Jahre alt ist, darf bestimmte Abwehrsprays legal besitzen. Pfeffersprays, die zur Tierabwehr dienen, sind sogar ohne Altersbeschränkung erlaubt. Das Versprühen solcher Sprays in der Schule kann jedoch schwerwiegende Konsequenzen haben. Foto: Adobe Stock

Tränende Augen und Husten, Atemnot und Panik: Diese typischen Symptome nach Kontakt mit Reizgas haben im November gleich zwei Großeinsätze an Schulen in Kirchheim ausgelöst: Zuerst musste der Rauner-Campus geräumt werden, zwei Wochen später traf es die Janusz-Korczak-Schule. In einem der Fälle hat die Polizei inzwischen neue Erkenntnisse.

„Im Fall der Janusz-Korczak-Schule hat sich die Verursacherin selbst gemeldet“, sagt Christian Wörner, Pressesprecher beim Polizeipräsidium Reutlingen. Es handle sich um eine Schülerin der Schule. Wer das Mittel in der Teck-Realschule auf dem Rauner-Campus versprüht hat, bleibt dagegen bislang ungeklärt.

Ermittlung wegen gefährlicher Körperverletzung

Fest steht aber: Als harmloser Streich geht keiner der beiden Fälle durch. „Zu den beiden Reizgaseinsätzen werden jeweils Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung geführt“, informiert Stefanie Ruben, Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft Stuttgart. Während Erwachsenen bei einer Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung Freiheitsstrafen drohen, greift bei Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren sowie Heranwachsenden zwischen 18 und 20 Jahren das Jugendstrafrecht. „Hier steht der Erziehungsgedanke im Vordergrund“, so Stefanie Ruben.

Auch aus Sicht von Kirchheims Stadtbrandmeister Michael Briki ist das Versprühen von Reizgas oder Pfefferspray alles andere als ein Spaß– und zwar gleich aus mehreren Gründen. „Es werden Menschen gefährdet –  körperlich und psychisch“, stellt er klar. Dazu kommt: „Solche Einsätze binden ein hohes Potenzial an Rettungskräften, die anderswo gebraucht würden.“ 

Ein Blick zurück verdeutlicht das Ausmaß der Einsätze: Am Rauner-Campus mussten 380 Schüler evakuiert werden, sämtliche Abteilungen der Kirchheimer Feuerwehr waren vor Ort –  mit 80 Kräften und 16 Fahrzeugen. An der Janusz-Korczak-Schule waren es elf Fahrzeuge und 47 Feuerwehrleute plus Rettungsdienst und Polizei. In beiden Fällen kam die Drehleiter der Feuerwehr zum Einsatz, da Schüler und Lehrer aus oberen Stockwerken gerettet werden mussten. Außerdem wird in solchen Fällen auch der Messzug des Landkreises Esslingen aus Ostfildern angefordert. „Wir können nicht alle Stoffe nachweisen“, so Michael  Briki. Der Messzug hingegen verfüge über spezialisierte Geräte und Chemiker.

Hoher Aufwand und hohe Kosten

Ausgehen muss die Feuerwehr bei einem solchen Alarm an der Schule immer vom Schlimmsten. „Das kann ja alles sein, auch ein Unfall im Chemiesaal mit Austritt von Chlor oder Säure“, so Briki. Es gelte also, alle Maßnahmen zu ergreifen, um die Sicherheit von Kindern und Lehrern zu gewährleisten. 

Alles in allem also ein riesiger Aufwand, der auch hohe Kosten verursacht. Genauere Zahlen kann Michael Briki nicht nennen. Nur soviel: Allein die Feuerwehrkosten gehen in die Tausende.  „Als Trägerin der Feuerwehr wird die Stadt die Kosten geltend machen, wenn der Verursacher oder die Verursacherin bekannt ist“, sagt Doreen Edel, Sprecherin der Stadt Kirchheim. Dann wird er oder sie zur Kasse gebeten – oder die Eltern. „Wenn die Verursacher minderjährig sind, müssen die Eltern die Kosten tragen“, so Doreen Edel. Anders sieht es dagegen aus, wenn nie herauskommt, wer den Reizstoff versprüht und den Einsatz verursacht hat. In dem Fall bleibt die Stadt auf den Kosten sitzen.

Im Schnitt jede Woche ein Reizgas-Vorfall

Im Jahr 2023 sind laut Innenministerium in Baden-Württemberg 58 Straftaten an Schulen mit Reizmitteln, Tränengas oder Pfeffersprays registriert worden. Sprich: Statistisch gesehen versprüht jede Woche ein Kind oder ein Jugendlicher Reizgas in der Schule. 2022 waren 51 Reizgas-Vorfälle registriert worden.

Die meisten Vorfälle werden als Körperverletzung eingestuft, der Großteil sogar als gefährliche oder schwere Körperverletzung. Von den 58 Fällen im vergangenen Jahr handelte es sich bei 37 um schwere oder gefährliche Körperverletzung.

Als Tatverdächtige wurden 2023 vor allem Jugendliche erfasst: Zwei Drittel waren Mädchen und Jungen zwischen 14 und 17 Jahren. In rund einem Drittel der Fälle waren es Kinder unter 14 Jahren. Heranwachsende ab 18 Jahren und Erwachsene traten seltener als Tatverdächtige in Erscheinung.

Zum Einsatz kommen meistens CS-Gas oder Pfefferspray. CS-Gas ist ein chemischer Wirkstoff. Pfefferspray enthält meist Capsaicin, einen natürlichen Wirkstoff, der aus Cayenne-Pfeffer oder Chilies oder Paprika gewonnen wird.

Ab 14 Jahren dürfen Jugendliche in Reichweite und Sprühdauer begrenzte Reizstoffsprühgeräte mit CS-Gas kaufen und besitzen. Für Pfefferspray gibt es keine Altersbeschränkung, wenn es als Tierabwehrspray gekennzeichnet ist. Gegen Menschen darf es nicht eingesetzt werden. Erhältlich sind die Sprays online, aber auch in Drogeriemärkten, Apotheken und anderen Geschäften.