Die Luft bliebt weg, das Atmen fällt schwer, der stechende Schmerz in der Brust wird immer stärker, und die Schweißperlen stehen auf der Stirn. Bei einem Herzinfarkt zählt jede Minute. Schnell wird die Notrufnummer gewählt. Die Uhr tickt. Innerhalb von zehn Minuten, höchstens aber innerhalb von 15 Minuten sollte die Hilfe in 95 Prozent der Einsätze eintreffen. So steht es im Rettungsdienstgesetz von Baden-Württemberg. In manchen Gegenden tut man sich mit einer solchen Vorgabe schwer.
Lichtblick: Helfer vor Ort
Sind die Rettungsdienste im Landkreis Esslingen etwa schlecht aufgestellt? „Nein“, sagt Rafael Dölker, Geschäftsführer des DRK Esslingen-Nürtingen, „8,5 Minuten braucht der Rettungswagen von der Wache bis zum Patienten. Das ist der Durchschnittswert für den Landkreis.“ Doch ein Durchschnittswert ist und bleibt ein Durchschnittswert.
Elf Rettungswachen und Notarztstandorte gibt es im Landkreis. „Alle sind nach Gutachten und intensiven Fahrsimulationen gewählt worden“, erklärt Rafael Dölker. Dass manche Gemeinden bei der Standortwahl zu kurz kommen, das weiß der Chef der Nürtinger Malteser, Marc Lippe: „Lenningen zum Beispiel liegt von Kirchheim weit weg, und dort sind wir häufig im Einsatz. 15 Minuten für diese Strecke sind kaum bis gar nicht zu schaffen.“
Wichtige Unterstützung für die Sanitäter sind deshalb im Lenninger Tal die sogenannten „Helfer vor Ort“. Drei gibt es in Owen und Brucken, vier direkt in Lenningen und vier in Hochwang und Erkenbrechtsweiler. Sie sind ehrenamtliche Sanitäter, die im Notfall auch mal vom Arbeitsplatz direkt zum Einsatzort fahren. Sie sind schnell beim Patienten und versorgen ihn, bis der Rettungswagen eintrifft.
Für Marc Lippe ist klar: „So ein System bräuchte man in jedem Ort. Sie retten dem Patienten oft das Leben.“ Zum Beispiel in Ochsenwang: Wird hier ein Notruf abgesetzt - vorausgesetzt man hat in dem Dorf auf der Alb einmal Handyempfang - dann kann es zum Beispiel im Winter ganz schöne Probleme bereiten, erst einmal die Steige mit dem Rettungswagen hochzukommen.
Notrufe sind keine Notrufe mehr
Und noch etwas macht den Rettungsdiensten zu schaffen: „Bei uns rufen mehr Patienten an als noch vor zehn oder 15 Jahren“, erzählt Rafael Dölker. „Genauer gesagt sind die Einsatzahlen zwischen 2005 und 2015 um 70 Prozent gestiegen.“ Und immer öfter sind die Notrufe keine wirklichen Notrufe mehr. Es werde nicht mehr zu Omas Hausmittelchen gegriffen, wenn das Bauchweh einfach nicht weggehen will. Und wer kein Auto hat, aber sich gerne im Krankenhaus durchchecken lassen will, rufe oft den Notruf, um sich dorthin fahren zu lassen. Auch die Hausärzte, die früher noch in jedem Ort, egal an welchem Tag und egal zu welcher Zeit, immer erreichbar waren, sind jetzt zu einer Rarität geworden. Die einzige Rettung für viele: der Anruf beim Rettungsdienst. „Die Menschen wollen eben auf Nummer sicher gehen und rufen uns an. Viele Dinge werden jetzt beim Rettungsdienst abgeladen“, stellt DRK-Rettungsdienstleiter Michael Wucherer fest. Die Ansprüche der Menschen seien eben größer geworden.
Klingt nach viel Arbeit - nach zu viel Arbeit für zu wenig Personal. Im Moment stehen nicht genügend Sanitäter zur Verfügung. Das liegt aber nicht daran, dass der Nachwuchs fehlt, sondern an einem neuen Berufsbild: dem Notfallsanitäter. Seit 2014 ist diese Ausbildungsmöglichkeit auf dem Markt. Anders als der Rettungsassistent durchlaufen sie keine zwei-, sondern eine dreijährige Ausbildung. Die Resonanz auf das neue Angebot ist groß. Beim DRK sind insgesamt 160 Bewerbungen auf die Ausbildung eingegangen, bei den Maltesern 180. Für den Rettungsdienst-Nachwuchs bedeutet das: Schulungen, Prüfungen und Co. Das nimmt Zeit in Anspruch, Zeit, in der Fachkräfte fehlen.
Sanitätern wird viel abverlangt
Der Nachwuchs scheint also kein Problem darzustellen, dafür aber die Mitarbeiter, die körperlich nicht so fit sind. Die Anforderungen an die Sanitäter haben sich laut dem DRK-Geschäftsführer um 180 Grad gedreht. Außerdem werden die Einsätze immer mehr, und die Gesellschaft scheint immer schwieriger geworden zu sein. „Vielen ist der Anstand abhanden gekommen“, sagt Rafael Dölker, „und das ist noch freundlich ausgedrückt.“ Psychische und körperliche Belastungen seien typische Begleiterscheinungen des Berufes. „Es ist wichtig, die richtige Work-Life-Balance zu finden“, sagt Marc Lippe. Wenn Sanitäter immer wieder bei schweren Unfällen dabei sind, aber keine Zeit bekommen, das Erlebte zu verarbeiten, macht das laut dem Malteser-Geschäftsführer die Menschen kaputt.
Also ist der Job nicht wirklich attraktiv, oder? „Man muss Sanitäter aus Überzeugung und Leidenschaft sein“, sagt Michael Wucherer. Man arbeite daran, sowohl das Gehalt als auch die Rahmenbedingungen zu verbessern. „Doch da müssen die Gesellschaft und die Politik mitarbeiten“, gibt der Chef der Nürtinger Malteser zu bedenken.