Wenn der Wecker nicht mehr klingelt, beginnt eine Phase des Honeymoons, sagte der Sozialwissenschaftler Dr. Eckart Hammer, als er in ungewöhnlicher Atmosphäre bei Möbel König in Kirchheim über „Chancen und Herausforderungen im Ruhestand“ sprach: Das Publikum saß auf bequemen Sofas und ließ sich mit einem Thema konfrontieren, das auch viele unbequeme Seiten hat.
Im Idealfall begegnet man diesen unbequemen Seiten mit einer gehörigen Portion Humor. Eckart Hammer macht das bravourös vor, schon wenn er von seinen frühen Erfahrungen mit dem Altern berichtet: „Ich war 27, als ich
meinen ersten Ausweis als ,Senior’ bekommen habe, vom Deutschen Jugendherbergswerk.“ Eine andere Alterserfahrung machte er, als er mit über 50 von den Skiern aufs Snowboard umgestiegen ist: „Da war meine Tochter entsetzt, weil sie das peinlich fand.“
Wann geht das Alter wirklich los? Eher nicht mit der Rente, meint Eckart Hammer: „Wer in den Ruhestand geht, hat meistens noch 15 bis 20 richtig gute Jahre vor sich.“ Das wirkliche Alter beginne erst „jenseits der 80“, wobei auch das nicht in absoluten Zahlen zu beziffern ist: „Es beginnt, wenn man gebrechlich wird und dazu vielleicht auch noch dement.“
Er selbst ist jetzt 68 und hat keine regelmäßigen Verpflichtungen mehr als Professor der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg: „Obwohl mein Wecker nur noch selten klingelt, stehe ich gegen Viertel nach sieben auf.“ Er hat sich schon immer beruflich mit dem Altern auseinandergesetzt, vor allem mit dem Altern von Männern: „Der Mann ist das unbekannte Wesen in der Altersforschung.“ Gerade für Männer sei das Ende des Berufslebens häufig der größte Einschnitt in ihrem Leben. Das betreffe auch die Frauen: „Viele Frauen interessieren sich mehr für den Ruhestand ihres Mannes als für ihren eigenen. Sie machen sich Sorgen, wie es wird, wenn der Mann zuhause nur noch dumm rumsitzt.“
Für viele Männer sei der Beruf fast alles. Wenn sie aus ihrem Leben erzählen, sprechen sie oft eine halbe Stunde über den Beruf, bevor es dann heißt. „Ich habe auch noch eine Frau und Kinder.“ Frauen würden eher vom Mann und von den Kindern erzählen und dann nebenher auch noch den Beruf erwähnen. Mit der Aufgabe des Berufs gehe viel verloren: Selbstwert, Status, Bedeutung; die vertraute Rolle als Ernährer; eine sinnstiftende Tätigkeit; die Tages- und Lebensstruktur; die separate Lebenswelt; die finanziellen Spielräume. Zu den beruflichen Beziehungen sagt Eckart Hammer: „Viele Männer denken, sie haben Freunde. Im Ruhestand merken sie, das waren nur Kollegen.“ Zum „eingespielten sozialen Arrangement zuhause“ fügt er mit ironischem Ernst hinzu: „Für den Mann gibt es da oft nicht viel zu tun – außer dem Müllmanagement.“
Was lässt sich Positives übers Altern sagen? Eckart Hammer bringt ein englisches Wortspiel und unterscheidet zwischen „to retire“ und „to retyre“: Das eine heißt „ausruhen“, das andere „neue Reifen aufziehen“. Der Sinn, den Ruheständler einst im Berufsleben fanden, muss in neuen Projekten gefunden werden. Dabei unterscheidet der „Männerforscher“ vier Typen: Die „Weitermacher“ hören nicht wirklich auf, ähnlich wie Johannes Heesters. Die „Anknüpfer“ übertragen ihre beruflichen Fähigkeiten auf etwas Neues und werden zum Beispiel Kassier in ihrem Verein. Die „Nachholer“ reisen in aller Herren Länder und „tun damit das, was unsere Kinder schon machen, bevor sie 30 sind“. Die „Befreiten“ schließlich suchen sich eine ganz neue Arbeit, im Garten oder im Ehrenamt. „Die meisten sind von allem ein bisschen.“
Wichtig sei es, an sich selbst zu denken und Dinge zu tun, die bisher zu kurz kamen: Hobbys zu pflegen, alte oder neue, auf den Körper zu achten oder auch ganz anders zu genießen. In der Partnerschaft ergebe sich im Idealfall eine neue Harmonie. Man müsse aber nicht 16 Stunden am Tag gemeinsam verbringen. Mann und Frau könnten auch im Ruhestand gewisse Zeiten einzeln verbringen.
Lachen ist die beste Medizin
Für Männer könne es lohnend sein, mit Enkelkindern das nachzuholen, was sie bei den Kindern versäumt haben. Aber auch dann gehe es darum, das Loslassen zu lernen – „wenn die Enkel erwachsen werden und ihr eigenes Leben führen“. Auch als pflegende Angehörige werden Männer vielfach unterschätzt. Zu diesem Thema stellt Eckart Hammer fest: „Angehörige zu pflegen, kann schrecklich sein, es kann aber auch belohnend sein.“ Wichtig für ein gelingendes Alter seien auf jeden Fall die „Vier L“: Lernen, Laufen, Lieben, Lachen. Letzteres rief Eckart Hammer in seinem kurzweiligen Vortrag regelmäßig hervor.