Kirchheim
Ruhestand: Nach 49 Jahren verabschiedet sich der Postler „kdl“

Berufsleben Fast 50 Jahre war Klaus-Dieter Leib aus Schlierbach als Briefträger unterwegs, davon gut 30 Jahre auf dem Milcherberg und im Nägelestal in Kirchheim. Bis zum letzten Arbeitstag war sein Ehrgeiz, schneller fertig zu sein als seine Kollegen. Was sich in fünf Jahrzehnten geändert hat. Von Anke Kirsammer

Mit immer lauter werdendem Surren nimmt das Rad von Klaus-Dieter Leib Fahrt auf. Geschickt steuert er den gelben, akkubetriebenen Lastesel um Poller, in Hofeinfahrten und durch schmale Verbindungswege. „Ich mache so viel wie möglich mit dem Fahrrad, sonst kann ich gleich laufen“, sagt der 64-Jährige und tritt an der nächsten Tür beherzt auf den breiten Ständer vor den Pedalen. 49 Jahre lang hat Klaus-Dieter Leib die Post ausgefahren. Heute ist sein vorletzter Tag in der blau-gelben Kluft. „Ich mache die Arbeit immer noch genauso gern wie am ersten Tag“, versichert er und versprühlt dabei mit seinem breiten Lachen wie gewohnt gute Laune.

„Oh, jetzt habe ich einen Brief falsch eingeworfen“, entfährt es ihm an einem der ersten Häuser. „Sobald du den Kopf ausschaltest, wird das nix.“ Das Missgeschick ist schnell ausgebügelt. Auf das Klingeln öffnet eine freundliche Dame und fischt den Brief für die Nachbarn aus dem Kasten.

Dass genau dieser Beruf der richtige für ihn ist, hatte der Schlierbacher bei einem Praktikum während der Schulzeit herausgefunden. Seine Ausbildung begann er 1974 in der Hauptstelle in Kirchheim am Postpatz. Der Briefträger schwärmt: „Das war richtig schön.“ Wo heute das Teckcenter steht, war damals noch der Bahnhof. Jeden Abend ging es mit den Postsäcken auf Gestellwagen rüber, um Briefe und Pakete in die Züge zu verladen. Das gehört genauso der Vergangenheit an wie vieles andere, von dem der 64-Jährige an dem Vormittag erzählt. Die Postleitzahl 7312 sorgte damals noch dafür, dass Karten, Päckchen und Co in der Teckstadt ankamen. Bevor es ans Austragen ging, musste er die Post sortieren. „Das geht heute alles maschinell in Salach“, sagt Klaus-Dieter Leib. Allein die „Gangfolge“ war früher entscheidend. Jetzt muss er größere Sendungen wie Zeitschriften vor seinem Lenker aus einer anderen Box klauben als die kleinen. „Damit sie nicht beschädigt werden“, sagt er und zieht die Augenbrauen hoch. „Ich finde immer – lass mich doch schaffen, wie ich will – solange dabei nichts kaputt geht.“

Weitgehend selbstständig arbeiten zu können, schätzt er an seinem Beruf. „Ich bin mein eigener Chef“, betont er. Um 8.20 Uhr beginnt sein Arbeitstag. Den Feierabend bestimmt er selbst. „Wenn du mich unterwegs triffst und ich keine Uhr dabei habe, sage ich dir plus minus fünf Minuten wie spät es ist“, erzählt er. „Wenn‘s mehr Post ist, mache ich einfach schneller, dann wird der Vorsprung gegenüber den Kollegen noch größer“, sagt er lachend. Bis zum letzten Tag hatte er den Antrieb, sein Rad als erster wieder im Depot abzustellen.

Der sportliche Ehrgeiz von Klaus-Dieter Leib kommt nicht von ungefähr: Sonntag für Sonntag ist „kdl“ für den Teckboten auf den Sportplätzen in der Umgebung als rasender Reporter unterwegs. Von der Kreisliga B bis zur Bezirksliga haut er nach dem Abpfiff der Fußballpartien in Windeseile die Spielberichte in die Tasten. „Das macht mir einen Riesenspaß“, betont er.

Fußball und seine Familie – beides ist bei ihm ganz oben angesiedelt. Entgegen kam ihm deshalb, dass die Zustellbezirke in Kirchheim vor Jahren von Voll- in Teilzeitbezirke umgemodelt wurden. „Das war der größte Einschnitt“, sagt er und freut sich heute noch darüber. „Nie hätte ich gedacht, dass das kommt.“ Dem Vater zweier Kinder spielte die Umkstrukturierung in die Karten: Vor 16 Jahren wechselte er auf eine halbe Stelle. Schnell hatten er und seine Frau gemerkt, dass der Haushalt bei zwei Ganztagesjobs auf der Strecke blieb. Also steckte er beruflich zurück und ließ Aufstiegschancen an sich vorbei ziehen. „Ich will vormittags schaffen und den Nachmittag für mich“, sagt er bestimmt. „Mein bestes Gut ist die Freizeit. Die kann für mich kein Geld der Welt ersetzen.“

Unablässig scheppert es blechern. Kreuz und quer klappern die Deckel der Briefkästen in dem Mehrfamilienhaus. Ein ganzes Bündel Briefe hält Klaus-Dieter Leib in der linken Hand, mit der rechten lupft er in Windeseile einen Deckel nach dem anderen und lässt die Post in den Schlitzen verschwinden. Wie genau er das mit seinen flinken Fingern macht, bleibt selbst beim x-ten genauen Hinsehen ein Rätsel.

 

Das ist der beste Briefträger, den ich in meinem ganzen Leben gehabt habe. Der denkt mit. Ganz, ganz toll!
Eine Anwohnerin

 

Ja, bei den Mehrfamilienhäusern geht die Arbeit schneller von der Hand, als bei den Siedlungen mit Einfamilienhäusern, räumt Klaus-Dieter Leib ein. Trotzdem ist er froh, wenn er die Wohnblöcke hinter sich lassen kann. „Hier kennen sich die Leute untereinander oft nicht“, sagt der Beamte. Mal eben dem Nachbarn ein Paket in die Hand drücken funktioniert da nicht. Ganz anders bei einer Dame, die auf sein Klingeln öffnet. „Ah, jetzt kommt sie. Die ist cool, sie nimmt für alle was an“, sagt der Postler erfreut. Als sie erfährt, dass er seinen Ruhestand antritt und darüber bald etwas in der Zeitung steht, wünscht sie ihm nicht nur alles Gute, sondern lobt ihn überschwänglich: „Das ist der beste Briefträger den ich in meinem ganzen Leben gehabt habe. Der denkt mit. Wenn da niemand da ist, schmeißt er es beim Nächsten rein. Ganz, ganz toll!“

Der Scanner zeigt die Arbeitsaufträge an

Ein paar Ecken weiter ergibt sich mit der Schwester ebenfalls ein nettes Gespräch: „Gell, Sie wissen, morgen ist Schluss“, so Klaus-Dieter Leib. Zum Dank steckt sie ihm zehn Euro zu. An Weihnachten gibt es vor allem von den etwas älteren Leuten ein kleines Geschenk. „Das erarbeitet man sich auch“, so lautet die Überzeugung des Postbeamten.

Wieder piept der Scanner, der sämtliche Arbeitsaufträge für den Tag anzeigt, freundlich. Klaus-Dieter Leib weist auf das Display: Hier gibt es einen Ablagevertrag. Er öffnet die Mülltonnenbox und schiebt das Paket in eine Nische. „Das finde ich geschickt“, so der Postbote. Überflüssig ist damit das Ausdrucken eines Etiketts für die Abholkarte, die Fahrt zur nächsten Adresse geht rasch weiter.

Nicht immer schafft er seine 14 Kilometer lange Tour mit 946 Haushalten trockenen Fußes. „Wetterfest muss man bei dem Job sein“, betont Klaus-Dieter Leib. Während andere den Schnee und Glätte fürchten, liebt er den Winter. „Einmal“, so erinnert er sich schmunzelnd, stürzte er in Ötlingen, sämtliche Briefe lagen verstreut auf der Straße. „Haben Sie Post für mich?“ – Das sei alles gewesen, wofür sich ein Passant interessiert habe.

Immer zügig unterwegs: 49 Jahre lang hat Klaus-Dieter Leib in Kirchheim Post ausgefahren, 16 Jahre davon halbtags. Foto: Carsten Riedl

Manche Bewohnerin und manchen Bewohner auf dem Milcherberg und im Nägelestal kennt Klaus-Dieter Leib nun seit 30 Jahren. „Ich bin der letzte Mohikaner, der so lange im gleichen Bezirk ist“, sagt er. „Das gibt es so nicht mehr und ist von gestern.“ Früher war er beinahe in ganz Kirchheim als Springer unterwegs. Sein Ziel war ein eigener Bezirk. Die Gelegenheit packte er beim Schopf, als das Nägelestal entstand. Er blendet zurück: „Wo der große Block steht, war bis 1988 die Ziegelei Schimming.“ Nach und nach seien 500 Wohneinheiten entstanden. Jahrelang musste er durch die Baustelle durch, habe sich seinen Bezirk immer wieder neu eingeteilt. „Das hat mir gefallen“, betont Klaus-Dieter Leib. „Was ich gigantisch finde, ist der Kontakt zu den Leuten, und die Kinder aufwachsen zu sehen.“

Das reflektierende Posthorn auf Klaus-Dieter Leibs Rücken beginnt, sich an manchen Stellen abzulösen. Vielleicht genauso ein Signal, sich in den Ruhestand zu verabschieden, wie sein Rad, das er als „Auslaufmodell“ bezeichnet. Inzwischen setze die Post nur noch auf Dreiräder. Auch wenn er sich auf das Mehr an Freizeit und Pedelec-Touren mit zwei Kumpels freut: Etwas mulmig ist ihm bei dem Gedanken, nicht mehr durch die gewohnten Straßenzüge zu fahren. Eine Option wäre gewesen, als Pensionär hin und wieder auszuhelfen. „Aber“, so sagt er sich, „das ist ja auch blöd –, wenn ich jetzt ade sage und in vier Wochen wieder komme.“