Tja, da sind wir gleich beim Thema“, sagt Oberbürgermeister Dr. Pascal Bader, lächelt entschuldigend, und blickt zur langen Treppe hoch in den Sitzungssaal – einen Aufzug gibt es hier nicht. Zehn Menschen mit Behinderung sind zu Besuch im historischen Rathaus, sie alle sind Beiräte der Lebenshilfe Kirchheim. Sie vertreten die Interessen der Menschen mit Behinderung. Die Beiräte wollen Fragen stellen zur Inklusion – im Sitzungssaal, wo sonst der Gemeinderat tagt. Doch erstmal stellt sich allen eine ganz konkrete Frage: Wie kommt Heimbeirat Arthur Neidich mit seinem Rollstuhl diese Treppe hoch? Gemeinsam stehen alle etwas ratlos im Foyer. Bis Arthur Neidich lächelt und anbietet, es zu Fuß zu versuchen. Mit seinen Armen zieht er sich am Geländer hoch, Stufe für Stufe. Oberbürgermeister Pascal Bader krempelt die Ärmel hoch und trägt den grünen Rollstuhl hinauf in den Sitzungssaal.
Anita Erdmann sitzt schon im Saal. Ganz vorn links hat sie sich niedergelassen, hinter sich historische Ölgemälde, vor sich ein Tisch-Mikrofon. Ein „bissle“ aufregend sei das schon, sagt sie, zwinkert und rückt ihre Brille zurecht. „Das habe ich halt noch nie gemacht, einen Oberbürgermeister besucht.“ In der Mitte steht Dr. Pascal Bader und erzählt, dass die Gemeinderatssitzungen manchmal bis spät in die Nacht dauern. Es seien aber alle Menschen eingeladen, dort zuzuhören und Fragen zu stellen.
„Warum heißen Sie eigentlich Oberbürgermeister?“ will Markus Grözinger jetzt wissen. Das kann Pascal Bader dem Lebenshilfe-Beirat schnell erklären: Alle Städte über 20 000 Einwohner haben einen Oberbürgermeister und beigeordnete Bürgermeister. „Wie wären denn Stadtführungen für alle von Menschen mit Behinderung?“ Diese Idee kommt von Jochen Schumann aus der Runde und sie begeistert die Runde: „Klar, das planen wir,“ beschließt Oberbürgermeister Bader. Anita Erdmann streckt sich: „Könnten wir an der Haltestelle am Kruichling eine Bank und ein Dach bekommen?“ Sie steige dort immer aus und ein auf ihrem täglichen Weg zur Arbeit in den Werkstätten Esslingen-Kirchheim. „Ja, das gebe ich gleich ans Tiefbauamt weiter, vielleicht geht es dann schneller,“ verspricht der Oberbürgermeister
Wie weit ist Kirchheim in der Umsetzung des Inklusionsplanes? Im vergangenen Jahr gab es Workshops mit Bürgerbeteiligung, auch Menschen mit Behinderung waren vertreten. Ende 2021 wurde der Aktionsplan zur Inklusion im Gemeinderat verabschiedet, er sieht konkrete Maßnahmen für die Jahre 2022 und 2023 vor. „Wir arbeiten ab, Schritt für Schritt,“ sagt Dr. Pascal Bader. Gerade seien die 120 Kirchheimer Bushaltestellen dran, alle sollen barrierefrei werden. Bei neuen Bauvorhaben werde die Inklusion sowieso gleich mitgedacht. Das neue Verwaltungsgebäude werde beispielsweise barrierefrei geplant und soll auch eine Toilette für alle haben.
„Alle sollen in Kirchheim gleichermaßen am Leben teilhaben“, sagt Oberbürgermeister Bader auf dem Weg hoch zum Rathausturm. Er will die Stadt noch von oben zeigen. „Jetzt wird’s historisch, sie sagen, wenn’s nicht geht, ja?“ Die Gruppe steht im staubigen hölzernen Treppenhaus des Turms. Steile Stiegen winden sich nach oben. Die letzte Treppe ist Sandra Maier zu unsicher. „Gleich haben Sie es geschafft,“ sagt Pascal Bader. „Möchten Sie?“ Er streckt ihr seine Hand entgegen, gemeinsam schaffen sie die letzten Stufen.
Oben erwartet die Runde ein Rundum-Ausblick auf die Dächer der Stadt, die Martinskirche mit der Kino-Leinwand – die Ukraine-Flagge flattert im Wind. Alle blicken hinunter auf das Wimmelbild aus spielzeugkleinen Autos, geschäftigen Menschen, Hunden und Fahrradfahrern. Diese Stadt wollen die Lebenshilfe-Beiräte gemeinsam mit dem Oberbürgermeister noch inklusiver machen. Ist diese Aufgabe zu groß? „Nicht, wenn man immer wieder Kontakt sucht,“ sagt Bader. „Hey, schaut mal, der Dietz macht Feierabend!“ ruft Anita Erdmann. „Da könnten wir uns doch noch ein Würstle angeln,“ lacht der OB. „Kommt wir werfen von hier oben eine Angel aus! Ich tauche dann aber ab, mich kennen hier alle.“ Eigentlich müsste Dr. Pascal Bader schon seit einer halben Stunde auf dem nächsten Termin sein. Doch jetzt ist Zeit für den Abstieg vom Turm. Der Oberbürgermeister geht vor Sandra Maier, so fühlt sie sich sicher. Und alle kommen gut unten an in ihrer Stadt. Schritt für Schritt.