Seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine sind Hunderttausende Menschen nach Deutschland geflohen. Unzählige Ehrenamtliche betreuen Ankömmlinge, organisieren Wohnraum und kämpfen sich durch den Bürokratie-Dschungel. Eine von ihnen ist Angela Renz aus Oberlenningen. Vorgeschlagen ist sie für den Ehrenamtspreis, den die Stiftung Kreissparkasse Esslingen-Nürtingen mit dem Teckboten unter dem Motto „Hilfe in herausfordernden Zeiten“ ausgeschrieben hat. Momentan kümmert sich die Lenningerin um neun Geflüchtete und begleitet mit einem Vierer-Gespann einen von ihr initiierten wöchentlich stattfindenden Ukraine-Treff.
Begonnen hatte das Engagement damit, dass ihr Mann Joachim zusammen mit Christian Ensinger aus Owen kurz nach Kriegsbeginn mit Hilfsgütern für die Ukraine nach Polen fuhr. Dafür hatte der Lions Club Geld gesammelt. Der Aufruf von Angela Renz war auf so große Resonanz gestoßen, dass es zuhause kaum noch ein Durchkommen gab. Dinge wie Schlafsäcke, haltbare Lebensmittel, Hygieneartikel, Babynahrung und Windeln wurden sortiert und beschriftet. Bei der einmaligen Aktion blieb es nicht. Immer wieder füllte sich der Flur. Mit ihren Sammelaktionen arbeitete die Lenningerin einem Bürger-Netzwerk in Münsingen zu. Dort gibt es inzwischen einen riesigen Fundus an Bekleidung, technischen Geräten, Kissen, Geschirr und anderen Einrichtungsgegenständen. Regelmäßig packt Angela Renz Geflüchtete ins Auto, damit sie sich in dem Lager auf der Alb eindecken können.
Die große Hilfsbereitschaft, die sie bei den Spendenaktionen erfuhr, erlebte sie genauso bei ihrem nächsten Projekt: Ein Telefonat mit dem Vorsitzenden des katholischen Kirchengemeinderats genügte, und sie hatte die Freigabe für die leerstehende Oberlenninger Pfarrerwohnung. Ob es ums Putzen oder die Möblierung ging – immer packten spontan Leute mit an. „Wenn ein Dorf zusammenhält, funktioniert es“, so ihre Erfahrung.
Ein riesiger Aufwand
Bereits Ende März zogen die ersten Flüchtlinge aus der Ukraine ein. Derzeit teilen sich vier Erwachsene und eine Handvoll Kinder die Wohnung mit fünf Zimmern, einer Küche und zwei Bädern. „Am Anfang denkst du, du zeigst ihnen, wo sie einkaufen können“, sagt sie und kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Nie hätte sie gedacht, was an Arbeit auf sie zukommen würde und wie aufwendig es ist, sämtliche Dokumente zu besorgen. Was sich in einer Großen Kreisstadt wie Kirchheim im Rathaus bewerkstelligen lässt, muss ein Flüchtling aus einer kleineren Kommune in der Außenstelle des Landratsamts erledigen. „Ich begleite sie dorthin, auch weil mir die Frauen mit ihren Kindern leidtun“, sagt Angela Renz. Zu den Fahrten auf den Plochinger Stumpenhof kommen Telefonate mit Kinderärzten, Anmeldungen bei der Krankenkasse, beim Jobcenter, in Schule und Kindergarten. „Ich habe mir alles ergoogelt“, sagt sie. Damit nicht jeder bei null anfängt, erstellte sie mit Beate Armann vom Arbeitskreis Asyl eine Handreichung.
Zum bürokratischen Aufwand gesellen sich ganz praktische Dinge, denn die Neuankömmlinge stehen nicht selten ohne Geld da. Also füllte die Lenningerin erst einmal den Kühlschrank und besorgte Grundnahrungsmittel. Auch sonst geht das Engagement der toughen Frau weit über das Normalmaß hinaus: Die Jungs brachte sie beim Sportverein im Fußball unter, die Mädels beim Tanzen. „Es ist wichtig, dass sie etwas Regelmäßiges haben und es etwas gibt, auf das sie sich freuen können“, erklärt sie. Sie organisiert kostenlose Friseurtermine und unternahm in der ersten Zeit Ausflüge mit den Ukrainerinnen und ihren Kindern, damit sie auch mal abschalten können und sich trauen, ihren Radius zu vergrößern. „Es ist wie in einer Familie. Du kümmerst dich um sie, damit es ihnen gutgeht“, so beschreibt Angela Renz, was sie antreibt.
Den Einsatz bringt die Mutter von zwei erwachsenen Kindern am Wochenende oder am Feierabend. Zeit für sich hatte sie in den ersten beiden Monaten nicht. „Wenn du siehst, wie es den Menschen geht, sind sie dir nicht mehr egal“, sagt sie und betont immer wieder, dass sich viele andere genauso einbringen wie sie. Längst haben sich Freundschaften entwickelt. Umso härter war, als die erste Familie wieder in die Ukraine ging, weil der Arbeitgeber der Frau sonst gekündigt hätte. „Es war ein mulmiges Gefühl, aber wir halten Kontakt und schreiben regelmäßig über Whatsapp“, sagt sie nachdenklich. Dass keiner weiß, wie lange der Krieg dauert, ist besonders zermürbend – auch für die Ukrainerinnen, die nach wie vor in Lenningen wohnen. Die Sprachbarriere ist ein großes Problem. Die nächsten Integrationskurse beginnen erst im Januar. „Wie sie mit allem klarkommen, weiß ich nicht“, sagt Angela Renz. Umso wichtiger findet sie, ihnen zu helfen, das „Kopfkino“ zwischendurch abzuschalten. Der Lohn für all das, was sie leistet, ist eine enorme Dankbarkeit. Zum Ausdruck gebracht hat eine der Ukrainerinnen die auf einer Postkarte: „Ihr seid unsere Schutzengel“ steht dort. Was könnte besser zu jemandem passen, der mit Vornamen Angela oder „der Engel“ heißt.
Der Ukraine-Treff findet donnerstags ab 18 Uhr im katholischen Gemeindehaus, Silcherstraße 8 in Oberlenningen statt. Angela Renz freut sich, wenn auch Gastgeberinnen und Gastgeber kommen.