Dialektforschung
„Schwäbisch, das am nächsten Busch endet“

Der Tübinger Sprachwissenschaftler Rudolf Bühler erkundet lokale Besonderheiten im schwäbischen Dialekt. Seine Quellen sind Menschen aus 80 Kreisgemeinden. Wir waren in Owen dabei. 

„I will ammol koin Trialer wera“: Wer das Schwäbische von klein auf beherrscht, hat gute Chancen. Foto: Adobestock

„Send dia Leisa jetzt bloß a weng leis’ oder send se daulaus“? Um zu wissen, dass eine Prise Salz bei der Mahlzeit den Unterschied ausmachen kann, muss man kein Schwabe sein. Und doch ist man als solcher in der Lage, Nuancen zu benennen, wo anderen beim Essen einfach nur die Würze fehlt. Um die Feinheiten von Dialekt, um lokale Färbungen von Alltagssprache, die möglicherweise schon „am nächsten Busch endet“ – darum geht es bei seiner Arbeit. Dr. Rudolf Bühler ist Sprachforscher und Geschäftsführer im Dachverband der Dialekte Baden-Württemberg. Seine Mission: Pflege und Erhalt des Schwäbischen mit all seinen Ausprägungen. Wer schreibt, der bleibt, lautet ein Sprichwort. Im Auftrag des Landkreises ist Bühler deshalb dabei, einen Sprachatlas für den Kreis Esslingen zu erarbeiten. Entsprechende Werke aus seiner Feder gibt es bereits für die Landkreise Böblingen, Freudenstadt und Rottweil. Bühler ist geboren und aufgewachsen in Freiburg, also nicht im schwäbischen, sondern im alemannischen Sprachraum. Allerdings gibt es auch in und um den Schwarzwald unzählige regionale Dialektformen.

Diesen Sommer tourt der Wahl-Tübinger durch 80 Kreisgemeinden zwischen Alb und Fildern, die bis zur Gebietsreform in den 70ern noch eigenständig waren. Das Ziel ist immer dasselbe: Menschen treffen, die in ihrem Heimatort aufgewachsen sind und das Schwäbische ein Leben lang verinner­licht haben.

An diesem frühen Dienstagmorgen wird Bühler im Owener Rathaus erwartet. Ur-Schwaben, die den Dialekt sozusagen mit der Muttermilch aufgesogen haben, findet man auch hier. Hansjörg Schmid ist mehr als das. Der Familien-Stammbaum des 69-Jährigen, verrät er nicht ohne Stolz, reicht in Owen zurück bis ins Jahr 1646. Die meisten seiner Vorfahren haben Wein- und Obstbau betrieben. Womit Bühler und sein Gesprächspartner bereits beim Thema wären: Wie nennt man in Owen den Korb für die Kirschenernte? „Gretta“, braucht Schmid nicht lange zu überlegen. Und wenn ein Korb zwei Griffe hat? „No isch’s a Zoi – en dr Regel für d’Wesch.“

Zwei Stunden dauert das Interview, während dem sich Bühler Notizen zu Anekdoten macht, Originaltöne mitschneidet und einen mehrseitigen Fragebogen ausfüllt – schließlich wird hier wissenschaftlich gearbeitet. An mancher Stelle geht es um semantische Feinheiten, anderswo um exakte Aussprache. Bei der Schwaben Nationalgetränk – dem „Moschd mit drei O“ – ist die Vokaldehnung entscheidend – so viel Zeit muss sein. Der „Trialer“ hingegen kann vieles sein: ein Sabberlatz, eine Person, die zum Sabbern neigt und deshalb einen „Trialer“ trägt, oder auch ein Langweiler, dem das allermeiste im Leben viel zu schnell geht. Schwäbische Sprache – schwere Sprache.

Doch wie schreibt man eigentlich Schwäbisch? In einem Dialekt, der fast so viele Nasal-Laute kennt wie das Französische. Bühler versucht sich dem Gesprochenen, so weit es geht, mithilfe des lateinischen Alphabets zu nähern. Zwar gibt es auch eine Lautschrift, doch um die richtig lesen zu können, bedarf es viel Erfahrung und entsprechender Vorarbeit. Bühler möchte, dass seine Schriften jeder versteht. Deshalb muss der Zugang zum Geschriebenen „so niederschwellig wie möglich sein“, wie er betont.

Und wozu das Ganze? Dialekte sind ein Kulturgut, das zunehmend in Vergessenheit gerät und auszusterben droht. An den Schulen wird kaum mehr Dialekt gesprochen. Dass ein Mensch ein Leben an einem Ort verbringt, ist eine seltene Ausnahme. Die Folge: Dialekte verwässern immer mehr und verschwinden irgendwann ganz. Das Schwäbische ist dabei besonders stark gefährdet. Während der Bayer fast überall auf der Welt selbstbewusst den Dialekt pflegt, versteckt sich der Schwabe hinter einer Wand aus Scham. Das hat inzwischen auch die Politik erkannt. Bühlers Dachverband der Dialekte ist Teil einer „Dialektstrategie“, mit der die grün-schwarze Landesregierung das Schwäbische stärken und Mundart wieder in die Schulen tragen will. Ganz nach dem Motto: Das eine tun, ohne das andere zu lassen.

Schließlich wird der Reichtum des Schwäbischen allein dadurch sichtbar, dass es für viele Begriffe keine prägnante Entsprechung im Hochdeutschen gibt. Allerdings wird an diesem Morgen in Owen auch die eine oder andere Schwachstelle offenbar: Als sich Owens Bürgermeisterin Verena Grötzinger vom Gast verabschiedet, bleibt plötzlich die Frage zurück: Wie lautet eigentlich die weibliche Form von Schultes?

 

„Schwäbisch für Kenner ond Reigschmeckte“

Schwäbische Begriffe und Redewendungen, die fast jeder oder auch kaum jemand mehr kennt – wir wollen sie sammeln und in den nächsten Wochen und Monaten in unregelmäßiger Folge als Sommerserie vorstellen. Unter der Rubrik „Schwäbisch für Kenner ond Reigschmeckte“ findet sich das eine oder andere sprachliche Kleinod. Ganz nebenbei treten wir damit auch der verbreiteten Meinung entgegen, in der Redaktion gebe es keine waschechten Schwaben mehr. Wer sich mit Schreibweise und Aussprache schwertut, findet Hilfe im „Sprechenden Sprachatlas für Baden-Württemberg“ der Universität Tübingen. Dort finden sich unter https://dh-center.uni-tuebingen.de/escience/sprachatlas Hörbeispiele im Wörterverzeichnis. bk