Kirchheim
Selbstbestimmt und in Würde altern

Podiumsgespräch Zum 20-jährigen Bestehen des Kirchheimer Vereins „Buefet“ diskutierte unter anderem Sozialminister Lucha über die Zukunft der Pflege. Sie wird sich immer mehr in die Quartiere verlagern. Von Andreas Volz

Welche Zukunft hat die Altenhilfe? Zum 20-jährigen Bestehen des Kirchheimer Vereins „Buefet“ hat sich ein Podium in der Stadthalle an Antworten versucht. Wichtigstes Ergebnis: Pflege findet immer häufiger in den eigenen vier Wänden statt. Ambulante Pflegedienste sind so wichtig wie ehrenamtliche Kräfte. Und was ist mit den Pflegeheimen? Ihre Aufgaben ändern sich.

Letzteres betonte Baden-Württembergs Sozialminister Manne Lucha: „Ich gehe davon aus, dass die durchschnittliche Verweildauer in der Langzeitpflege nur
 

Pflegekräfte wünschen sich mehr Zeit für die Menschen, um die sie sich kümmern.
Manne Lucha
über ein großes Manko in der
Organisation der Altenpflege

noch bei neun Monaten liegt. Die Langzeitpflege der Zukunft wird somit eine Hospizfunktion übernehmen – und die Pflegeambulanz wird zunehmen.“ Eine große Herausforderung bestehe darin, genügend Personal zu finden.

Dabei sei vor allem an den organisatorischen Stellschrauben zu drehen, wie der Grünen-Politiker weiter ausführte: „Pflegekräfte wollen vor allem arbeiten, was sie gelernt haben. Sie wollen von den vielen bürokratischen Aufgaben entlastet werden, und sie wünschen sich mehr Zeit für die Menschen, um die sie sich kümmern. Erst an vierter Stelle steht bei den jungen Leuten das Gehalt.“

Manne Lucha plädiert auch selbst dafür, die Menschen in den Mittelpunkt zu stellen: „Niemand von uns möchte reduziert werden darauf, dass er einen Pflege- und Unterstützungsbedarf hat.“ Es gebe ja nicht nur hundert oder null Prozent. Alter gehe nicht zwangsläufig mit einer vollständigen Pflegebedürftigkeit einher. „Es braucht aber immer die richtige Hilfe am richtigen Ort. Deswegen können wir auch nicht die stationäre Pflege verdammen und nur noch die ambulante fördern.“ Auf Hilfe seien aber auch die Pflegekräfte selbst mitunter angewiesen: „Bei vielen hat Corona zu einer zusätzlichen Erschöpfung geführt. Sie können einfach nicht mehr. Die Pandemie war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.“

Auch pflegende Angehörige seien zu entlasten, warf Franziska Hezinger ein, die Altenhilfefachberaterin des Landkreises Esslingen – sei es durch Kurzzeitpflegeplätze in Heimen oder durch Alternativen, die in den Wohnquartieren angeboten werden: „Auch Angehörige müssen sich von ihren Aufgaben erholen können.“

Es braucht „Helfensbedürftige“

Für hauptamtliche wie ehrenamtliche Kräfte nannte Andrea Helmer-Denzel – SPD-Stadträtin in Kirchheim und Professorin an der Dualen Hochschule in Heidenheim – den Begriff „helfensbedürftig“. Wegen der demografischen Entwicklung braucht es immer mehr dieser Helfensbedürftigen: „In Kirchheim gehören derzeit rund 1 100 Menschen zu den Hochaltrigen, die über 85 Jahre alt sind. Bis 2040 werden es circa 1 600 sein.“ Auch sie betont, dass das nicht immer zur Bedürftigkeit führt: „Die Hälfte der Hochaltrigen ist nicht hilfsbedürftig.“

Der demografische Wandel sei ein schleichender Prozess. Weil es immer weniger Kinder gibt, weil die Kinder häufig weit entfernt leben und weil auch die Töchter berufstätig sind, können sie Pflege nur „auf Distanz“ bieten. Für die tatsächliche Pflege brauche es ambulante Dienste, für alltägliche Besorgungen die Hilfe von Nachbarschaftsnetzwerken. Wichtig wäre es aus ihrer Sicht, dass sich die Akteure besser vernetzen.

Pflegearbeit bleibt unbezahlt

„Buefet“ nannte sie als Beispiel für einen Verein, der sich um die Hilfe kümmert, aber auch um die Vernetzung. Ähnlich sieht es Gabriele Baisch von der Sozial- und Pflegeberatung im Kirchheimer Krankenhaus, eine Mitbegründerin von „Buefet“: „Wir haben eine immer kürzere Verweildauer und eine immer größere Patientengruppe, die wir im Anschluss nicht versorgen können.“ Das sei zwar auch vor 40 Jahren schon so gewesen. „Aber damals gab es für Pflege im Krankenhaus einen Tagessatz. Wenn wir heute jemanden behalten, weil es für ihn keine geeignete Unterbringung gibt, erhalten wir keinen Lohn für unsere Pflegearbeit. Das ist ein Skandal.“ Immerhin habe sie mit „Buefet“ eine Organisation an der Hand, die in solchen Fällen Lösungen sucht.

Kirchheims Oberbürgermeister Pascal Bader ist der Erste Vorsitzende von „Buefet“. Auf die Frage seines stellvertretenden Vorsitzenden Thomas Meyer-Weithofer, der den Abend moderierte, warum es keinen Stadtseniorenrat gibt, sagte er: „Wir sind mit Buefet und mit dem Bürgertreff sehr gut aufgestellt. Deswegen brauchen wir nicht noch eine weitere Einrichtung.“ Auch er setzt auf die Arbeit in Quartieren und Nachbarschaftsnetzwerken. Selbst die Stadtplanung müsse sich mit dem Thema der alternden Gesellschaft auseinandersetzen. Clusterwohnungen und die Nahversorgung im Quartier würden es ermöglichen, solange wie möglich selbstbestimmt und in Würde zu leben.