Kirchheim
Sexuelle Übergriffe: „Von einer Bewaffnung raten wir ab“

Kriminalität Zwei Fälle sexueller Straftaten haben im Landkreis für Aufsehen gesorgt. Es handele sich jedoch um absolute Ausnahmen, heißt es bei der Polizei. Von Thomas Zapp

Lieber einmal zu viel als einmal zu wenig die Polizei rufen: „Falls sich die Situation in Nachhinein als harmlos herausstellen sollte, wird die Polizei niemals Vorwürfe machen“, sagt Martin Raff von der Stabsstelle Öffentlichkeitsarbeit im Polizeipräsidium Reutlingen, das auch für den Landkreis Esslingen zuständig ist. Ratschläge zur Prävention von sexuellen Übergriffen und im schlimmsten Fall einer Vergewaltigung sind für die Polizei ein sehr sensibles Thema. „Das klingt schnell so, als ob die Opfer etwas falsch gemacht haben. Das haben sie definitiv nicht“, betont Raff.

Innerhalb von zwei Monaten hatte es im Landkreis jüngst zwei Fälle von sexueller Gewalt gegeben, die viel diskutiert wurden. In Plochingen wurde am 8. April eine 23-jährige Frau überfallen, in eine Gartenhütte verschleppt und vergewaltigt. Am 25. Mai hatte ein Unbekannter auf dem Radweg zwischen der Kläranlage und Gutenberg eine zehnjährige Radfahrerin angegriffen und offenbar versucht, sich an dem Kind zu vergehen. Seitdem gehen bei der Polizei wieder häufiger Anfragen ein mit dem Tenor: Können Frauen und Kinder noch alleine auf die Straße gehen? Die Antwort des Beamten fällt eindeutig aus: „Solche überfallartige Taten durch einen fremden Täter sind glücklicherweise sehr, sehr selten. In beiden Fällen wurden die Tatverdächtigen festgenommen“, betont Martin Raff.

Das Sicherheitsgefühl des Einzelnen weiche oftmals von der tatsächlichen Sicherheitslage ab und kann von Berichten über gravierende Einzelfälle, die einen emotional berühren oder auch durch Kommentare und Mutmaßungen in sozialen Medien beeinflusst werden, erklärt Raff. Fakt ist: Laut Statistik des Polizeipräsidiums Reutlingen ist 2021 die Zahl der Sexualstraftaten zwar um 25 Prozent deutlich angestiegen, allerdings vor allem im Bereich „Verbreitung pornografischer Schriften“. Die Zahl sexueller Belästigung ist seit 2018 kontinuierlich zurückgegangen, ebenso wie Vergewaltigung und sexuelle Nötigung – im Vergleich zu 2020 um zehn Prozent.

Heimwegtelefon ist eine Option

Grundsätzlich gebe es kein Patentrezept, wie sich besonders Frauen in bedrohlichen Situationen „richtig“ verhalten. Die Polizei empfiehlt lediglich ein gewisses „Verhaltensrepertoire“: Aufmerksam bleiben, um Gefahren durch andere Personen früh wahrzunehmen und diesen auszuweichen. Darüber hinaus könne es auch sinnvoll sein, sich Möglichkeiten für den Heimweg zu später Stunde zu überlegen. Wenn Taxi oder Abholen nicht in Frage kommen, ist eine Überlegung wert, den Weg nach Hause mit jemandem gemeinsam zurückzulegen, oder sich am Telefon begleiten zu lassen – hierfür gibt es eine extra Telefonnummer, wenn man spätabends weder Freunde noch Familie aus dem Schlaf klingeln möchte: das bundesweite Heimwegtelefon ist unter der 030/12 07 41 82 zu erreichen.

„Gesunde Wachsamkeit“

Die Polizei rät Frauen und jungen Mädchen grundsätzlich, eine gesunde Wachsamkeit an den Tag zu legen, wenn sie zu Fuß unterwegs sind. Dazu gehört auch, auf Kopfhörer im Ohr zu verzichten. Denn: Sie verhindern, dass man seine Umgebung wahrnimmt um etwa rechtzeitig zu hören, wenn einem jemand folgt. Derart abgelenkt hat man sonst keine Möglichkeit, im Vorfeld eines Übergriffs zu reagieren. 

Auch zu einem anderen Thema hat die Polizei eine klare Position „Wir raten auch von einer Bewaffnung ab. Diese kann schnell gegen einen selbst verwendet werden oder die Aggressivität eines Angreifers erhöhen“, sagt Martin Raff. Hinzu kommt, dass die Handhabung etwa von Pfefferspray in Stresssituationen leicht zu Fehlern führen kann, und sich die abwehrende Person möglicherweise selbst verletzt. Die Polizei rät Betroffenen zwar, lautstark zu schreien, sich soweit möglich zu wehren oder sich aus der Gefahrenzone zu begeben, macht diese Empfehlung aber auch vom Einzelfall abhängig: „Wenn man mit einer Waffe bedroht wird, ist eine Gegenwehr eher nicht angezeigt.“

 

Vorbeugen gegen und Reagieren auf einen Angriff

Vermeiden: Versuchen Sie, aggressiv und bedrohlich wirkende Situationen von vorneherein zu vermeiden Wer eine Gruppe womöglich betrunkener und pöbelnder Männer beobachtet, macht besser einen großen Bogen um sie. Gerade bei größeren Menschenansammlungen sollte man darauf verstärkt achten. In derartigen Situationen ist es hilfreich, nicht allein, sondern in einer Gruppe unterwegs zu sein.

Verlassen: Wenn es dennoch passiert, verlassen Sie die Situation so schnell es geht. Lassen Sie sich nicht vom Angreifer provozieren und vermeiden Sie Diskussionen. Beleidigen Sie den Angreifer nicht. Gehen Sie, wenn möglich, rasch weg oder begeben sich in eine sichere Umgebung, etwa in die unmittelbare Nähe anderer Menschen.

Aufmerksam machen: Rufen Sie laut um Hilfe und sprechen Sie Passanten gezielt an („Sie im roten Pulli, bitte rufen Sie die Polizei, ich werde bedrängt!“).

Siezen Sie den Angreifer: Mit dieser einfachen Methode demonstrieren Sie Distanz und zeigen Außenstehenden, dass es sich nicht um eine private Angelegenheit handelt.

Wehren: Falls es trotz aller Vorsichtsmaßnahmen zu einem Übergriff kommt, wehren Sie sich so gut es geht! Verzichten Sie allerdings auf Abwehrwaffen wie Pfeffersprays oder ähnliches. Deren Einsatz kann leicht zur Gefahr für Sie selbst werden. Zudem könnte sich dadurch die Gewaltbereitschaft des Angreifers noch weiter steigern.

Weitere Informationen zu diesem Thema finden sich im Internet auf www.polizei-beratung.de  lp