Jürgen Geißler ist ein Mann der Präzision. Er sorgt dafür, dass fliegende Büros in den Himmel starten können. Auch zu Corona-Zeiten. Der Kirchheimer kümmert sich um alles rund um den Businessjet, in dem Firmenchefs arbeiten, während sie von einem Termin zum anderen fliegen. Dazu gehören Flugzeugzulassungen ebenso wie die Bauaufsicht beim Flugzeughersteller oder das komplette Management, um die Lufttüchtigkeit aufrechtzuerhalten und zu prüfen.
Gerade bei den Prüfungen hat er seit Corona jede Menge zu tun. Während die großen Flugzeuge infolge der Pandemie über Wochen und Monate gar nicht oder nur bedingt bestimmte Strecken anbieten, sorgt Geißler mit seinem fünfköpfigen Team dafür, dass Geschäftsführer und Unternehmenschefs mit Firmenflugzeugen sicher an ihr Ziel kommen.
Fünf Geschäftskunden betreut er in Deutschland und hält deren zwölf- bis 15-sitzige Maschinen jederzeit einsatzbereit. „Wartung und technische Dienstleis- tung werden noch mehr als vor der Pandemie in Anspruch genommen“, erklärt der Mann mit mehr als 40 Jahren Luftfahrterfahrung. Es gibt strenge Vorschriften vom Hersteller. Alle zwei Monate müssen zum Beispiel die Maschinen vor Ort in Augenschein genommen und am Boden getestet werden. Im Gegensatz zu den großen Businessjet-Maschinen, die eine Höhe zwischen 47 000 und 51 000 Fuß erreichen, fliegen sie bei einer Höhe von 35 000 bis 39 000 Fuß und benötigen dadurch auch weniger Sprit, erklärt Geißler.
Besonders vergangenen Sommer seien die Geschäftskunden viel geflogen. „Die Menschen haben erkannt, dass die Videokonferenzen nicht ein Treffen von Angesicht zu Angesicht ersetzen können“, sagt er. Man sei schneller als mit der Bahn am Ziel und Hygienevorschriften konnten rasch und flexibel umgesetzt werden. Sobald Geschäftskunden nicht mehr von Quarantäneregelungen betroffen waren, nahmen auch die Flüge ins Ausland zu.
Und während die großen Airlines 2020 über massive Umsatzrückgänge klagten, blickt der Kirchheimer Flugzeugspezialist in seinem Geschäftsbereich auf ein sehr gutes Jahr zurück. „Auch 2021 wird ein gutes Jahr“, meint er optimistisch. Deshalb hat er auch seit Juni zusätzlich eine Technikerin eingestellt, die für die Wartung und Planung der Flugzeuge zuständig ist. „Sie hat eine Wahnsinnsausbildung hinter sich“, sagt Geißler und holt den Ordner, in dem all ihre Zeugnisse abgeheftet sind. Er ist genauso dick wie seiner.
Rund 800 000 Euro hat sie in ihre Ausbildung investiert, Geißler selbst rund 1,2 Millionen Euro in seine Ausbildung gesteckt. Mehr als 3000 Triebwerksprüfungsabläufe, davon über 1000 mit dem Kampfjet Phantom F4, 120 Prüfflüge und mehr als 400 prüfungspflichtige Tätigkeiten an unterschiedlichen Flugzeugtypen hat der ehemalige gelernte Automechaniker bereits ausgeübt.
Der 60-jährige gebürtige Freiburger hat mit seinem Unternehmen eine Nische entdeckt und ehrgeizig und zielstrebig seinen Weg in die Selbstständigkeit verfolgt. Er blättert durch seinen dicken Ordner. Nach seiner Automechanikerausbildung hat er noch eine Flugzeugmechanikerausbildung absolviert und sich bei der Bundeswehr zum Flugzeugwartungsmechaniker-Meister ausbilden lassen. Von 1987 bis 1996 war er Prüfgruppen- und Teamleiter bei der Deutschen Rettungsflugwacht. Es folgten dort unter anderem noch eine Ausbildung zum Fluggerätemechaniker und zum Maschinenbautechniker. Anschließend ging es zur Deutschen BA. Dort war er Schichtleiter und Mitarbeiter im Engineering Department und prüfte verschiedene Typen von Boeing-Maschinen. Bevor er sich schließlich selbstständig machte, war er Mitarbeiter im Engineering Department von DC Aviation und dort Mitglied des Operator Advisory Boards (OAB) bei Dassault.
Weiter wissenshungrig
Doch mit all den Ausbildungen ist sein Wissensdrang nicht gestillt. Immer wieder stellt er sich Prüfungen, um vom Luftfahrtbundesamt bestimmte Genehmigungen zu erhalten. Geißler blickt auf die Uhr. Gleich hat er wieder eine. Diesmal geht es darum, dass er deutschlandweit unter den ersten 15 Betrieben beziehungsweise in Baden-Württemberg unter den ersten fünf ist, die eine Genehmigung zur Überwachung und Überprüfung der Lufttüchtigkeit von Flugzeugen (Part-Camo = Continuing Airworthiness Management Organisation) besitzen. „Diese Prüfung ist notwendig geworden, weil die europäische Luftfahrtbehörde die Anforderungen an die Aufrechterhaltung der Lufttüchtigkeit an Flugzeugen extrem erhöht hat“, sagt Geißler. Dazu kommen extra zwei Leute des Luftfahrtbundesamtes für ein zweitägiges Audit in seinen Betrieb.