Jetzt mache ich jeden Abend eine Stunde Musik, so lange kann die Wäsche auf mich warten“, sagt Silke Reicherter. Hätten sie ihre Jungs nicht angerufen, hätte sie nie gedacht, dass sie in ihrem vollgepackten Alltag noch Zeit für ihr Hobby finden kann. „Man kann das alles irgendwie schaffen“, versichert sie.
Als „Jungs“ bezeichnet die leidenschaftliche Musikerin ihre ehemaligen Bandkollegen aus DDR-Zeiten. Schon als 14-jährige Schülerin wurde sie Sängerin der Amateurband „Yoga“. Die erwachsenen
Bandmitglieder machten zur Bedingung: Ihre Schulnoten mussten passen. Erst viele Jahre später verließ sie die Band, um in den Westen zu flüchten.
Auch hier war die Musik ihr stetiger Begleiter. Neben ihrer Arbeit im Kundenservice bei der Firma Bauknecht hatte sie sozusagen einen Zweitjob: die schwäbische Band „Baerastark“. Gemeinsam sorgte die Gruppe auf der Kirchheimer Musiknacht, dem Weindorf, beim Frühlingsfest auf dem Wasen und an vielen anderen Orten für gute Stimmung.
Mit 38 Jahren war Schluss – Silke Reicherter hängte ihre Musikkarriere an den Nagel. Die vielen Proben, die Auftritte, das Songschreiben und die Organisation der Band brachte sie mit ihrer Arbeit, ihrem Kind und dem Haushalt nicht mehr unter einen Hut. „Damals war das völlig okay für mich. Erst jetzt, wo ich wieder mit der Musik angefangen habe, merke ich, was mir gefehlt hat“, erzählt sie. Zusammen mit ihrem Mann Jürgen Reicherter arbeitet sie seit 2010 in dessen Laden „Obst und mehr“ in Kirchheim. Völlig unerwartet kam nach gut 30 Jahren der Anruf ihrer alten Band „Yoga“. Ein Fernsehteam aus Berlin hatte die Band im Archiv gefunden und sich in den Kopf gesetzt, eine Dokumentation zu den fünf besten Amateurbands aus der DDR – darunter „Yoga“ – zu machen. Die Sängerin von damals sollte natürlich mit von der Partie sein. „Ich wusste zwar gleich, dass ich gerne mitmachen möchte, aber mir gingen 1000 Gedanken durch den Kopf: Das kann ich meinem Mann nicht zumuten, dafür habe ich überhaupt keine Zeit, das kann nicht funktionieren“, verrät Silke Reicherter. Ihre Befürchtungen haben sich alle nicht bewahrheitet. „Mein Mann war total begeistert. Und auch meine Mutter und Schwester haben mir den Rücken gestärkt. Auf meinem Sterbebett möchte ich einmal sagen können, dass ich nichts versäumt habe“, erklärt sie.
Mit besagtem Anruf kam alles ins Rollen: Silke Reicherter reist zurück nach Bleicherode und trifft ihre Jungs. Das postet sie auf Instagram – wo Kai-Uwe Opifanti, der Kirchheimer Musiker, darauf aufmerksam wird. Aus dem Geschäft „Obst und mehr“ kannten sich die beiden – wussten aber nichts von der gemeinsamen Leidenschaft für Musik. Kai-Uwe Opifanti nutzte die einmalige Gelegenheit: „Ich habe Silke einfach im Laden darauf angesprochen und gefragt, ob wir nicht zusammen etwas machen sollen. Mein Projekt war schon in vollem Gange, es fehlte nur noch eine Sängerin. Die Info kam genau zur richtigen Zeit. Wir haben uns zusammengetan und jetzt machen wir mit viel Leidenschaft und vor allem Spaß die ‚Camptones‘.“
Silke Reicherter erklärt: „Aber das betreiben wir nicht mehr so intensiv wie mit ‚Yoga‘ oder ‚Baerastark‘. Es ist kein Zweitjob mehr, sondern ein Hobby, mit dem wir Spaß und eine gute Zeit haben wollen.“ Bei den Camptones geht’s um Camping, Abenteuer und Sehnsucht. „Das wollen wir mit unseren Songs transportieren und die Menschen mit unserer Leidenschaft begeistern“, sagt Kai-Uwe Opifanti.