Wie lernt man richtig? Mira Fauth-Bühler kennt Antworten darauf. Sie ist Professorin für Wirtschaftspsychologie und Neuroökonomie an der Hochschule für Ökonomie und Management in Stuttgart. Ihren Forschungsschwerpunkt hat sie auf den Bereich der Hirnforschung gelegt.
Wie funktioniert es, Gelerntes langfristig zu behalten?
Mira Fauth-Bühler: Aus der Gedächtnisforschung wissen wir: Lernen funktioniert nicht automatisch, sondern ist ein aktiver Prozess. Wichtig ist es, sich mit den Lerninhalten intensiv zu beschäftigen und assoziative Verknüpfungen herzustellen.
Was genau meinen Sie mit „assoziativen Verknüpfungen“?
Fauth-Bühler: Gelerntes kann man sich vor allem dann langfristig merken, wenn man Lerninhalte mit anderen, gut verfügbaren Dingen verknüpft – zum Beispiel mit Orten. Darauf baut die sogenannte Loci-Methode. Sie ist eine mnemotechnische Lernmethode und Assoziationstechnik, mit der man seine Gedächtnisleistung steigern kann, indem man abstrakte Informationen, wie Zahlen, Texte oder Formeln, mit Bildern und praktischen Dingen aus dem Alltag in Verbindung bringt.
Wie funktioniert diese Loci-Methode?
Am besten ist es, sich einen Raum auszusuchen, den man gut kennt – etwa das eigene Arbeitszimmer. Dort gilt es dann, Punkte auszuwählen und diese in eine sinnvolle Reihenfolge zu bringen. Man könnte die Route zum Beispiel an der Tür beginnen, dann zum Sideboard gehen, dann zum Schreibtisch und so weiter. Die Route sollte so gestaltet werden, dass man sie sich gut merken kann. Nun verknüpft man die Routenpunkte mit Informationen. Wenn der Lernende später einen „geistigen Spaziergang“ entlang dieser Route macht, können die dort abgelegten Informationen ganz einfach wieder abgerufen werden.
Funktioniert die Methode auch mit anderen „Orten“?
Ja, es ließen sich beispielsweise auch Körperteile mit Dingen, Namen oder Telefonnummern belegen. Oder nehmen wir das Beispiel Kirchheim und eine Einkaufsliste: Möglich ist es, eine geistige Tour durch die Stadt zu machen und verschiedene Plätze mit den Punkten einer Einkaufsliste zu verknüpfen. Man stelle sich zum Beispiel vor, auf der Spitze des Rathauses wäre ein riesiges Käsestück aufgespießt, der Marktbrunnen wäre gefüllt mit Milch und das Pferdedenkmal am Rossmarkt würde voller Tomaten hängen. Hat man diese Vorstellungen im Kopf, wird man nicht vergessen, Käse, Milch und Tomaten einzukaufen.
Das klingt einfach. Aber was tun, wenn man sehr viele verschiedene oder komplexe Inhalte lernen muss?
Dann ist das wichtig, was ich eingangs schon erwähnt hatte, nämlich sich ausgiebig mit den Lerninhalten zu beschäftigen. Je intensiver man sich mit einem Thema befasst, desto besser kann man es sich merken.
Was halten Sie von „Mindmaps“, also sogenannten Gedächtniskarten?
Das ist eine ganz tolle Sache, denn damit kann man sich auf visuelle Art und Weise ein Themengebiet erschließen und Lerninhalte verankern. Mindmaps funktionierten deshalb so gut, weil man da das Lernmaterial selbst organisiert. Man sucht nach Oberbegriffen, macht Unterpunkte und versucht, sein Wissen sinnvoll zu strukturieren. Wenn mir diese Gliederung gut gelingt, habe ich schon unheimlich viel Wissen grafisch vor mir. Je tiefer ich danach ins jeweilige Unterthema einsteige, desto mehr Detailwissen kommt hinzu.
Mindmaps können ja ganz individuell und kreativ gestaltet werden.
Ja, genau, und es ist wirklich toll, wie viel komplexes Wissen man in einer Mindmap auf einen Blick erfassen und wie viele Details man damit abrufen kann. Mit dieser Visualisierung von Wissen bekommt der Lernende auch Sicherheit, sein Wissen jederzeit abrufen zu können und in einer Prüfungssituation keinen Blackout zu haben. Fakt ist nämlich: Ins Gehirn rein gehen Lerninhalte oft ohne Probleme. Das Schwierige aber ist, diese Lerninhalte später auch wieder abrufen zu können.
Und dabei helfen Mindmaps?
Ja, und auch alle anderen Arten von Lernplakaten oder Notizen, die den Lernenden dabei helfen, abstrakte Fakten so zu strukturieren, dass sie diese Inhalte sinnvoll in ihre bestehenden Wissensnetzwerke eingruppieren können.
Das Motto muss also lauten: Mach dir eine Struktur, mach dir ein Bild?
Generell gilt, dass es gut ist, mit allen Sinnen zu lernen. Zwar gibt es Menschen, die Lerninhalte vor allem übers Hören aufnehmen können. Aber ja: Meiner Meinung nach ist Strukturierung und Visualisierung ein zentraler Lerntipp.
Reicht es, das Ganze einmalig aufzuschreiben, und wie wichtig ist das Wiederholen?
Den Lernstoff nur einmal durchzugehen, ist zu wenig! Wiederholen ist enorm wichtig. Am besten ist es sogar, wenn man sich umfänglich abfragen lässt. Umfänglich bedeutet: Ein Vokabel-Abfrager sollte den Lernenden tatsächlich alle Vokabeln abfragen – nicht nur die, die er noch nicht so gut kann. Vermeintlich „sicher sitzende“ Vokabeln könnten sonst nämlich in Vergessenheit geraten.
Es bewahrheitet sich also das Motto „Übung macht den Meister“?
Ja, genau. Studien weisen außerdem darauf hin, dass das Abrufen von Inhalten 10 bis 20 Prozent des Behalten-Zeitraums betragen sollte. Wenn ich also Stoff lerne, zu dem ich in zehn Wochen Prüfung habe, sollte ich mich alle zwei Wochen abfragen lassen. Steht die Prüfung hingegen schon in zehn Tagen an, wäre das Abfragen sogar alle ein bis zwei Tage angebracht.
Zum Schluss noch kurz ein Stichwort – nämlich Schlaf.
Gedächtnisinhalte werden im Schlaf verfestigt. Daher ist es wichtig, ausreichend zu schlafen und sich vor dem Zubettgehen nicht zu sehr zu aktivieren. Mein Tipp: Abends keinen aufwühlenden Film anschauen. Sonst erinnert man sich am nächsten Tag vor allem an den Film – und nicht an den Lerninhalt.
Experten-Tipps gegen Schulfrust
Homeschooling, Online-Unterricht, gekürzte Stundenpläne – wegen der Corona-Pandemie haben sich bei einigen Schülerinnen und Schülern Lernlücken aufgetan. Die Bundesregierung hat daher ein Aktionsprogramm beschlossen und unterstützt die Länder mit Geld, damit diese zusätzliche Förderangebote machen können. Viele Eltern wollen aber auch selbst aktiv werden und stellen sich die Frage: Wie kann ich meine Tochter oder meinen Sohn unterstützen?
Tatsächlich gibt es zahlreiche Lernspiele, mit denen Kinder und Jugendliche in Bereichen wie Mathematik, Deutsch, Geografie, Englisch und Allgemeinbildung spielend „am Ball“ bleiben können. Doch was tun, wenn trotz spielerischer Lernerfolge die Motivation sinkt und schulische Dinge vernachlässigt werden – etwa Hausaufgaben oder das Lernen für die nächste Klassenarbeit?
Aufschieben aus Angst
Andrea Spies, die Vorsitzende der Sektion Schulpsychologie im Bundesverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen, findet es wichtig, Kinder wegen mangelnder Motivation nicht zu verurteilen. „Aufschieberitis“ – also das Phänomen, Aufgaben vor sich herzuschieben – sei völlig normal und ein zutiefst menschlicher Zug. In gewisser Weise stecke dahinter Faulheit, aber auch die Angst zu versagen. Andrea Spies erklärt: „Durch das Aufschieben schütze ich mich sozusagen vor der schmerzhaften Erkenntnis, dass da ein Problem ist oder etwas, das ich nicht kann.“
Gut für die Motivation ist es der Expertin zufolge, sich sein Ziel klar zu machen und sich zu fragen: „Was möchte ich erreichen?“ Dieses Ziel sollte man aufschreiben und sich dann einen Trainingsplan erstellen. Dabei sollte man sich nicht zu viel vornehmen, regelmäßig Pausen einlegen und sich nach getaner Arbeit selbst belohnen. Regelmäßig an der frischen Luft spazieren zu gehen, sei zum Beispiel ein guter Tipp. Durch die Bewegung setze sich nämlich das Gelernte fest, und die Natur sei mit das wirkungsvollste Antidepressivum. Dies mit einer Mitschülerin oder einem Mitschüler zu tun, sei ebenfalls sinnvoll. Andrea Spies erklärt: „Dann kann man sich gegenseitig Gelerntes noch mal erklären oder Lerninhalte besprechen.“ Tanja Liebmann