Kirchheim
Social-Card in Esslingen: Zwischen Erleichterung und Gängelung

Migrationspolitik Der Landkreis Esslingen will die Bezahlkarte für den Erhalt von Asylleistungen zum Sommer einführen, mit Hilfe der Kreissparkasse. Der Kreisdiakonieverband sieht das Konzept kritisch. Von Thomas Zapp

Ob die Bezieher von Asylleistungen mit der Social Card auch in kleineren Geschäften bezahlen und etwa Semmeln in Bäckereien kaufen können, ist noch nicht klar. Foto: Markus Brändli

Bund und Länder haben sie bereits beschlossen, in Hamburg werden sie seit vergangener Woche schon ausgegeben, in Baden-Württemberg wird sie der Ortenau-Kreis als erster einführen. Dennoch gibt es um die flächendeckende Einführung der Bezahlkarte für Asylbewerberinnen und -bewerber, der so genannten Social Card, noch Streit. Es geht darum, ob noch eine Gesetzesänderung notwendig ist, um eine einheitliche Regelung einführen zu können. Die wollen aber vor allem die Grünen nicht mittragen, daher will die FDP sogar die Ampelkoalitition platzen lassen.

Im Landkreis Esslingen ist die Lage bei den kommunalen Verantwortlichen klar. „Die Landkreise und der Landkreistag haben sich von Beginn an klar zur Einführung einer Bezahlkarte ausgesprochen. Solch eine Karte ist ein wirksames Instrument, um den Missbrauch von Sozialleistungen zu verhindern und kann gleichzeitig den Aufwand der Verwaltung bei der Leistungsauszahlung verringern“, sagt Landrat Heinz Eininger. Der Landkreis unterstütze daher die flächendeckende Einführung, um Ausweichreaktionen zu vermeiden. „Eine einheitliche Bezahlkarte ist wichtig, um negative Wechselwirkungen zwischen Kommunen und Landkreisen mit und ohne Bezahlkarte einerseits und einen Flickenteppich unterschiedlicher Karten andererseits zu vermeiden“, sagt Eininger. 

Operativer Partner im Landkreis könnte dabei die Kreissparkasse werden, da die meisten Konten der rund 10 000 im Kreis registrierten Geflüchteten ohnehin schon bei der KSK laufen. Das Thema Bargeld-Auszahlung bedeute dabei einen extremen Aufwand und auch eine Belastung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, betonte der KSK-Vorstandsvorsitzende Burkhard Wittmacher gegenüber dem Teckboten. Er begrüße daher die bargeldlose Kartenlösung für Neuankömmlinge. Allerdings gibt es noch eine zeitliche Komponente bis die Einführung vollzogen werden kann: Der Partner für die Umsetzung muss europaweit ausgeschrieben werden. Wittmacher geht daher frühestens vom Juni aus, bis der Zuschlag erteilt werden kann.

 

Diakonie kritisiert Karte

Während die Karte für manche der „Gamechanger“ in der Flüchtlingspolitik ist, läst sie für Eberhard Haußmann, Geschäftsführer der Diakonie im Landkreis, keine Probleme. Vielmehr befürchtet er mit der Einführung der Social Card ein weiteres Hindernis zur Integration. Zwar seien Bezahlkarten grundsätzlich sinnvoll, aber die üblichen Bank-, Kredit- oder Debitkarten hätten einen ganz anderen Zweck als die Bezahlkarte für Geflüchtete. „Während meine Bezahlkarte mir den Geldverkehr erleichtern und mir Konsumfreiheit ermöglichen soll, dient die Karte für Geflüchtete der Einschränkung von Freiheiten und ist damit das glatte Gegenteil“, so Haußmann. Er befürchtet, dass mit der Einführung Einschränkungen verbunden sind, die die Integration nicht nur verhindern, sondern die Ausgrenzung und Stigmatisierung verstärken.

Reinhard Eberst, Leiter der Diakonischen Bezirksstelle Kirchheim zählt die Einschränkungen auf: „Es ist offen, ob man mit der Karte beim Bäcker, kleinen Lebensmittelgeschäften oder auch bei allen Discountern einkaufen kann. Offen ist auch, ob man im Internet Waren kaufen kann. Gerade wenn man wenig Geld zur Verfügung hat, sind Sparangebote im Netz wichtig, etwa für ein Haushaltsgerät.

 

„Tür für Gängelung geöffnet“

Mit der Bezahlkarte kann man nicht überweisen und somit auch keinen Anwalt im Asylverfahren bezahlen. So werden Menschen um ihr Recht gebracht. Zudem braucht man bei uns immer noch ausreichend Bargeld, zum Beispiel für Material oder Ausflüge in der Schule, am Imbiss und vieles mehr.“ Die Vertreter der Diakonie sehen mit dem Vorhaben „Tür und Tor für Gängelung und Ausgrenzung“ geöffnet. Denn: „Die Karte könnte jederzeit gesperrt werden. Und wenn wie in Bayern geplant, nur 50 Euro pro Monat in bar verfügbar sein sollen, ist das einfach nur eine zusätzliche Einschränkung. Das ist diskriminierend“, so Eberst. Die Behauptung, dass Geflüchtete viel Geld aus Sozialleistungen ins Ausland transferierten sei bislang nicht belegt worden. Und Sozialleistungen seien laut Migrationsforschung nur untergeordnet für die Migration verantwortlich. „Hier wird eine Gruppe von Menschen unter Generalverdacht gestellt und mit Auflagen belegt, die offensichtlich nichts oder kaum zur Verbesserung der Situation beitragen“, ärgert sich Eberhard Haußmann. 

So soll die Social Card funktionieren

Die Regelung sieht vor, dass Asylbewerber zumindest einen Teil ihrer Leistungen künftig als Guthaben auf eine Bezahlkarte bekommen und damit bargeldlos bezahlen können. So wollen die Behörden unter anderem Bargeldüberweisungen in die Heimatländer der Schutzsuchenden vermeiden oder Bezahlungen von Schleppern. Auch im Ausland soll die Karte nicht funktionieren. Sie soll aber nicht nur Missbrauch vermeiden, sondern Abläufe bei der Auszahlung für Kleidung oder Lebensmittel vereinfachen und Druck von den Ämtern nehmen. Vor allem Menschen, die vor kurzem angekommen sind und die nicht über die nötigen Papiere verfügen, um ein Konto eröffnen zu können, können somit problemlos versorgt werden.

Zahlungen mit der Social Card laufen über das System des Partners VISA. Im Geschäft funktioniert das wie mit Debit-Karten, ebenso bei Online-Einkäufen, wo sie wie eine VISA-Karte eingesetzt werden kann – allerdings nur solange das Guthaben reicht. Wichtig ist auch: Sie sind keinem Konto zugeordnet. Vielmehr erhalten Kartenbesitzerinnen und -besitzer mit ihnen Zugang zu einem Treuhandsammelkonto, auf dem Gelder für Leistungsbezieher liegen. Bei jeder Transaktion wird das jeweilige Budget verringert.

Getestet wurde das System bereits in den Thüringer Landkreisen Eichsfeld und Greiz. Seit Dezember 2023 erhalten Asylbewerber dort das Geld für sogenannte Sachleistungen nicht mehr bar auf die Hand, sondern per Geldkarte. Damit waren Einkäufe nur in Geschäften in der unmittelbaren Umgebung möglich. Geld abheben am Bankautomat oder der Supermarktkasse funktioniert nicht. Auch Überweisungen damit sind nicht möglich, genauso wenig wie die Karte zu überziehen. zap

mit Infos von swr.de, tagesschau.de und zeit.de