Logopädie
Spielerisch das Sprechen lernen

Immer mehr Kinder haben mit Sprachdefiziten zu kämpfen. In Weilheim soll das Thema raus aus der Tabuzone. Michaela Rieger koordiniert für die Stadt die Sprachförderung an den Kitas. 

Auf spielerische Art und Weise hilft Logopädin Michaela Rieger in der Kita Egelsberg Kindern bei der Sprachentwicklung. Foto: Markus Brändli

Ganz schön viele Tiere sind schmutzig an diesem Vormittag in der Weilheimer Kita Egelsberg. Deshalb hat Michaela Rieger eine mit Wasser befüllte Schüssel und ein Handtuch mitgebracht. Oskar, Oliwia und Pepe sitzen an einem Tisch und dürfen die Tiere nacheinander waschen. Natürlich sind es keine echten Eisbären, Löwen, Eulen und Adler, die eine Reinigungsprozedur über sich ergehen lassen müssen. Doch die Kinder haben viel Freude daran, die Spielfiguren ins Wasser zu tauchen, sie mit den Fingern abzureiben und anschließend gut trocken zu rubbeln.

Michaela Rieger spricht viel, während die Kinder hochkonzentriert in der Wasserschüssel hantieren. Da fallen Wörter wie schwimmen, plantschen, spritzen, abtrocknen, putzen, riechen und ausschütten – also viele Verben, die die staatlich anerkannte Logopädin ganz bewusst und deutlich ausgesprochen in die Runde wirft. „Manche Kinder benutzen vor allem Hauptwörter“, weiß sie. „Deshalb biete ich viele Verben an.“ Das Ganze verbindet sie mit dem Wasserspiel, das bei Kindern immer gut ankomme. „So lernen sie, ohne es zu merken. Sie fühlen, führen selbst aus und begreifen dabei“, erklärt Michaela Rieger.
 

Raus aus der Tabuzone

Die 40-jährige Jesingerin, selbst Mutter von neun Jahre alten Zwillingen, ist seit 2018 als Koordinatorin für die Sprachförderung an den Kitas der Stadt Weilheim tätig. An drei Vormittagen pro Woche kommt sie in die Kita Egelsberg, um dort Kindern auf spielerische Art und Weise bei der Sprachentwicklung zu helfen. Und das soll vor allem eines machen: Spaß. „Wir haben uns vorgenommen, spielerisch aufzuklären und zu enttabuisieren“, betont Hauptamtsleiterin Daniela Braun. Für viele Eltern sei es ein Tabu und mit Scham behaftet, wenn ihr Kind Sprachförderung benötigt. Das weiß auch Julian Schacher, der bei der Stadt Weilheim die pädagogische Gesamtleitung innehat: „Es ist uns wichtig, dass die Sprachförderung kein Stempel für die Kinder ist“. Im besten Falle sollen die anderen Kinder eifersüchtig sein, weil sie nicht in die Sprachfördergruppen gehen dürfen, ergänzt er.

Das Thema gewinne zunehmend an Bedeutung, weil immer mehr Kinder Sprachdefizite aufweisen, verdeutlicht Michaela Rieger. Die Gründe sieht sie in Reizüberflutungen, denen Kinder ausgesetzt seien, aber auch in der „Spracharmut“, die in manchen Familien herrsche. Hinzu komme, dass Kinder mit Migrationshintergrund zuhause mit zwei oder sogar drei Sprachen konfrontiert werden. Darüber hinaus hat die Logopädin in den vergangenen Jahren beobachtet, dass es verstärkt Kinder gebe, die nicht nur Schwierigkeiten mit der Aussprache haben – sondern dass diese „ein Gesamtpaket mit Problemen bei der Aussprache, der Konzentration und dem Verhalten“ mitbringen.

Vor diesem Hintergrund sollte Sprachförderung generell an allen Kitas eine große Rolle spielen, betont Schacher. „Die Besonderheit in Weilheim ist, dass wir eine Sprachkoordinationsstelle haben, die mit Michaela Rieger und ihrem fachlichen Hintergrund sehr gut besetzt ist.“ Neben der spielerischen Arbeit mit den Kindern übernimmt die Logopädin Verwaltungsaufgaben im Rathaus, berät bei Fallbesprechungen in den Kitas, betreut und schult alle Sprachförderkräfte in der Stadt, leitet Treffen und entwickelt das Weilheimer Sprachförderkonzept kontinuierlich weiter, zählt Daniela Braun auf. Das Land Baden-Württemberg fördere ihre Arbeit nach der Gesamtkonzeption „Kolibri“; dies steht für „Kompetenzen verlässlich voranbringen“.

Unterdessen haben Oskar, Oliwia und Pepe alle Tiere blitzblank gewaschen und bei weiteren lustigen Spielen viele Wörter kennengelernt. „Wir haben Zunge und Mund aufgeweckt und können gut sprechen den ganzen Tag“, sagt Michaela Rieger. „Eins, zwei, drei, die Sprachförderung ist vorbei. Vier, fünf, sechs, als Pferd wird rüber galoppiert jetzt“, ruft sie – und voller Freude rennen die Mädchen und Jungen raus in den Garten zu den anderen Kindern.