Kirchheim
Standing Ovations in der Kirche

Konzert Die Kirchheimer Stadtkapelle, ein Projektchor und Solisten präsentierten das „Stabat Mater“ in der Martinskirche. Ein ambitioniertes und erfolgreiches Unterfangen. Von Ernst Leuze

War es ein Event - eventuell? Jedenfalls war am Sonntagabend die Martinskirche in Kirchheim überfüllt, die Begeisterung überbordend, die Bravos frenetisch - Standing Ovations. Auf dem Programm stand das Stabat Mater von Karl Jenkins. Deshalb vielleicht das ausgiebige Glockenläuten wie bei einem Gottesdienst.

Dann Begrüßung durch die Schirmherrin, Oberbürgermeisterin Matt-Heidecker. Sie fand prägnante Worte für den größeren Zusammenhang zwischen dem liturgischen Text unbekannter Herkunft aus dem Mittelalter, der mit den Worten „Stabat Mater“ beginnt, und den Konflikten, die uns heutzutage bedrängen. Auf der einen Seite das Gedenken an die Verstorbenen, die Opfer zweier Weltkriege, der Reichspogromnacht, der nicht enden wollenden Kriege im Osten und Süden - andererseits der lateinische, liturgische Text aus dem Mittelalter, garniert mit Zitaten aus anderen Sprachen - Englisch, Hebräisch, Aramäisch und Griechisch. Dazu das bekannte „Ave verum“, dessen Vertonung von Mozart für immer unerreichbar sein wird.

Vielleicht kann nur ein Angelsachse die Chuzpe haben, diesen sakrosankt gewordenen Text belanglos zu vertonen. Überhaupt erschloss sich weder aus dem unnötig zu klein gedruckten Programm noch aus der Musik selbst, was die Zitate aus anderen Sprachen bedeuten sollen; mit der Mater dolorosa, einer Analphabetin, können sie ja nichts zu tun haben. Sie waren nach deutschen Ausspracheregeln notiert, wichtig zwar für die Chorsänger, sonst aber nur ärgerlich.

Die meisten Besucher hatten ihr Programm auch alsbald weggelegt. Warum auch mitlesen, wenn aufgrund der Komposition kaum etwas zu verstehen war? Die Musik erging sich sowieso in gefälligen Melodien, anstatt auf die Worte einzugehen. Folgte der Komponist nur einer Mode, die ohne Rücksicht auf Verstehbarkeit Sprachen wie Kraut und Rüben vermischt? Die Musik gab leider keine Antwort. Denn so inbrünstig auch die sogenannte Ethno-Sopranistin Nataša Ricanovic ihre Halbtonimprovisationen kehlig zelebrierte, so wenig fand die Musik aus ihrer musicalmäßigen Beliebigkeit heraus.

Um so höher ist die künstlerische Leistung dieser Solistin, Schauspielerin übrigens von Beruf, einzuschätzen. Nicht zu vergessen der ganz fabelhafte Andreas Kerner, der seiner aramäischen „Holzflöte“ die exotischen Töne entlockte, welche die Komposition leider vorenthielt. Entdeckt hat die Solisten Stadtmusikdirektor Marc Lange. Er war der Superstar des Abends. Ihm war auch die Mezzosopranistin Maria Gabaldon-Martinez zu verdanken, die ihren langweiligen Soli mehr abgewann, als man hatte erhoffen dürfen. In Höchstform die Kirchheimer Stadtkapelle! Makellos erfüllte sie die Forderungen des Programms, nämlich samtig-weich zu spielen und, mehr noch, den richtigen Ton zu treffen, der die banale Musik auratisch adelte. Kaum ein Zuhörer konnte sich dem entziehen.

Ohne einen charismatischen Dirigenten geht das nicht. Nicht nur seinem Orchester gegenüber, sondern auch als Chorleiter war Marc Lange jede Sekunde hellwach, präzise und inspirierend. In nur gut zwei Gesamtproben konnte er die Sänger für sich gewinnen. Herausgekommen ist ein spannendes, begeistertes Musizieren.

Natürlich waren in dem Projektchor gute Leute versammelt, aus dem Daimlerchor, Dirigent Hartmut Volz, dem Chor an der Martinskirche, dem Katholischen Kirchenchor und noch manchen anderen Chorformationen. Dank seines Chordirektors Ralf Sach war dieser Projektchor überzeugend und überaus erfolgreich.

Laien werden in ihrer Begeisterung oft zu laut. Diesmal war es ganz anders: beste Balance den ganzen Abend, wunderbar! Als ein unnötig schwieriger Einsatz Verwirrung stiftete, brachten es die Sänger ganz schnell wieder in Ordnung - bravissimo.

Für alle Beteiligten galt: Schwer und kräftezehrend ist, was sich leicht und angenehm anhört. Das hatte auch die übergroße Zuhörerschaft begriffen und applaudierte so begeistert, wie es die Musiker verdient hatten.