Picke-packe voll sei die Buchhandlung Zimmermann, wenn Alex Capus kommt, stellte Leiterin Sibylle Mockler zur Begrüßung fest. Das kommt nicht von ungefähr: Handelt es sich doch um einen außerordentlich erfolgreichen Autor der Gegenwart. Und natürlich liegt es daran, dass es seit 2011 eine Verbindung des Autors mit Kirchheim gibt. Und dass er in den letzten Jahren seine Werke taufrisch dort vorgestellt hat.
Natürlich ist es auch diesmal ein Roman. Capus legte los und - erzählte. Ja, er stand mitten zwischen dem Publikum und erzählte, durch ein Kopfmikrophon für alle hörbar, den Roman in Kurzfassung. Den Zeithintergrund bieten die 90er-Jahre, eine Welt noch ganz ohne Handy, Computer und anderem mehr.
Er erzählt, dass er nach zehn Jahren journalistischer Tätigkeit im Alter von rund 30 Jahren „für fast nichts“ ein Häuschen im Piemont erworben hat, um in diesem Refugium seinen ersten Roman zu schreiben. Mit dem Freundeskreis und seiner Freundin und späterer Frau führt er im Sommer ein einfaches, aber heiteres Leben. Im Winter ist er allein und praktisch von der Welt abgeschnitten. Jetzt kann er sich ganz auf seinen Roman konzentrieren. Wenn ihm nichts einfällt, bastelt er an seinem Haus herum.
Er kennt sich im Barmilieu aus
Einmal in der Woche besucht er in dem nahen Städtchen eine kleine typisch italienische Bar, die immer von den gleichen Männern besucht wird. Als Betreiber einer Bar in seiner Schweizer Heimat Olten kennt er sich im Barmilieu aus. In dieser gleichförmigen Welt gibt es plötzlich eine Aufregung: Der Opferstock der kleinen Kirche wurde aufgebrochen. Der Maresciallo untersucht höchstpersönlich die Spuren im Schnee vor der Kirche und weiß sofort, wer der Täter ist: Der Flipperspieler aus der Bar, der mit seinem Gipsfuß seine spezielle Spur im Schnee hinterlassen hat. Der Polizist schont den Täter und regelt die Angelegenheit mit „italienischem katholischem Konfliktmanagement“. „Es ist eine wahre Geschichte. Ich war dabei“.
In der Spurenlese des Maresciallo sieht der Autor Capus eine Parallele zu seiner Arbeit als Romancier und führte nun zusammenfassend aus, woraus seine Poetik besteht. Im Roman hat er seine Theorie in Teilaspekten auf verschiedene Kapitel verteilt. Der Autor eines Romans verfolgt wie der Polizist unter vielen Lebensspuren die bestimmte Lebenspur einer Romanfigur. Dabei helfen ihm „Kausalzusammenhänge“ und Kenntnisse, die er selbst mitbringt. Bei den Kausalketten ist Capus sehr illusionslos. Eigentlich gibt es sie nicht, sondern sie werden hergestellt. Das gilt nicht nur für die Poesie der Märchen, die Kinder zum Einschlafen so dringend brauchen. Auch auf wissenschaftlichen Gebieten wie in der Archäologie werde oft das gefunden, was der Wissenschaftler finden wollte.
Aus dem Grund gehören für Capus Künstler und Werk immer zusammen. Er führt drastische Gegenbeispiele an: Gauguin und Musil haben ein skrupelloses Leben geführt. Genauso kompromisslos ist er, wenn es um das Weiterleben nach dem Tod oder um die Nachwirkung von Künstlern und Kunstwerken geht. Vorbei ist vorbei. Hölderlin und andere haben sich da anders geäußert. Capus schreibt wie viele Romanciers heute autofiktionale Romane, eine Mischung aus Autobiographie und Erfindung. Das aktuelle Werk ist stark autobiographisch geprägt und liest sich wie ein literarisches Testament. Er gibt zu, dass er auch lügt, wie Platon es den Dichtern unterstellt.
In seinen anderen Werken steckt immer auch etwas von ihm. Insofern, so Capus, seien seine Bücher alle gleich. „Hast du eines gelesen, hast du sie alle gelesen“. Diese Selbstironie, die immer wieder auftaucht, kann er sich leisten, sieht er sich doch von einem begeisterten Publikum umringt, das sich von der „Erzähllesung“ mitreißen ließ: durch die direkte humorvoll gewürzte Ansprache ohne Rednerpult und Blick ins Buch, doch mit vielen Zitatenpassagen aus dem Buch. Eine große rhetorische Leistung! Das Publikum freut sich sicherlich auf das nächste „gleiche“ Werk und hofft, dass Capus wieder damit nach Kirchheim kommt, auch wenn der 62-Jährige von einer Abschiedstournee sprach.