Sein Spitzname war hier passend wie nie: Als „Anne“ Kenner führte der Stadtrat und Landtagsabgeordnete Andreas Kenner „80 andere Frauen“ durch Kirchheim. Seine Stadtführung zum Thema „Auf den Spuren starker Frauen“ war ein Beitrag des SPD-Ortsvereins zu den Kirchheimer Frauentagen.
Erste Station war das Alte Gemeindehaus. Dort ging es um starke Klosterfrauen. Die Rückkehr zum strengen Einhalten der Klosterzucht war ihr Anliegen. Das
passte freilich nicht allen. Grafen Eberhard der Jüngere ließ das Kloster 1487/88 mehrfach belagern, um die tugendhaften Nonnen auszuhungern. „Mit den anderen Nonnen hat Eberhard gerne Feste gefeiert, bis weit nach Mitternacht“, erzählte Andreas Kenner. „Zu den Festen gehörte auch das Glücksspiel, und der Lärm, der aus dem Kloster drang, war noch am anderen Ende der Stadt zu hören.“
Eberhards gleichnamiger Vetter, Graf Eberhard im Bart, unterstützte die Reformen gegen die Verweltlichung. Andreas Kenner nannte einen wichtigen Grund für diese Verweltlichung: „Ein Kloster war damals eher eine Versorgungseinrichtung, als dass die Nonnen aus wirklich religiösen Motiven dort eingetreten wären.“ Eine besonders starke Frau war Barbara Gonzaga von Mantua, die Ehefrau Eberhards im Barte. Sie wurde zu einer Patronin der Kirchheimer Nonnen und wollte deswegen auch hier beerdigt werden. Wenige Jahrzehnte nach ihrem Tod 1503 wurde mit den Klostergebäuden während der Reformation auch ihr Grab beseitigt. Heute erinnert eine Stele vor dem Alten Gemeindehaus an Württembergs erste Herzogin.
Gegen ihren Willen in Kirchheim bestattet
Gut 300 Jahre später wurde in Kirchheim eine weitere Herzogin beigesetzt, gegen ihren Willen: Franziska von Hohenheim. Im Chor der Martinskirche verweist eine Grabplatte auf ihre Gruft. Weitere erlauchte Bewohnerinnen Kirchheims waren Herzogin Magdalene Sibylla, die den Wiederaufbau Kirchheims nach dem Stadtbrand 1690 unterstützt hat, oder auch Herzogin Henriette: „Nach dem Tod Franziskas zog Henriette mit ihrer Familie ins Kirchheimer Schloss. Ihrem Mann Louis war es hier aber wohl zu langweilig. Nach sechs Jahren starb er.“ Henriette dagegen hat viel für Kirchheim getan. Über ihre Urenkelin Mary von Teck ist sie sogar in den Stammbaum des englischen Königshauses eingegangen: Mary war die Großmutter von Königin Elisabeth II.
Außerhalb der Martinskirche traten andere starke Frauen in den Blickpunkt: Gertrud Mörike stand ihrem Mann, dem Kirchheimer Stadtpfarrer Otto Mörike, aktiv zur Seite. Auch sie verweigerte bei der Volksabstimmung über den Anschluss Österreichs 1938 ihre Zustimmung zu Hitlers Politik. Und auch sie versteckte verfolgte Juden im Pfarrhaus. Ebenfalls durch eine klare Haltung gegen den Nationalsozialismus zeichnete sich Rosa Heinzelmann aus: Die Krankenschwester, die bei der Stadt Kirchheim angestellt war, trat 1936 aus der NS-Schwesternschaft aus. Das wiederum hatte ihre Entlassung zur Folge. Andreas Kenner: „Der Gemeinderat hat ihrer Entlassung damals zugestimmt. Inzwischen hat der Gemeinderat aber eine Straße im Steingau-Quartier nach Rosa Heinzelmann benannt.“
Erst 1947 saß Frieda Keppler als erste Frau im Gemeinderat, führte Andreas Kenner an. Er erinnerte an Martha Siegl, Lore Maier, Hannelore Bodamer oder auch Ursula Schöllkopf. „Sybille Köber war übrigens nicht nur die erste Fraktionsvorsitzende im Gemeinderat, sie war auch die erste Frau im Technischen Ausschuss. Damals hat man noch gesagt, Frauen sind im Gemeinderat für Bücherei und Soziales zuständig.“ Überregionale Schlagzeilen habe es 2004 gegeben, als Angelika Matt-Heidecker Oberbürgermeisterin wurde. 2007 wurde Renate Kath außerdem zur ersten Dekanin des Kirchenbezirks Kirchheim.
Die erste politische Aktion von Frauen in Kirchheim bestand im Nähen der Einheitsfahne während der Revolution von 1848. „So haben sich Frauen eingebracht in den Kampf für Freiheit und Demokratie.“ Was bleibt? Vergebliche Forderungen Andreas Kenners – nach Täfelchen, etwa für Mary von Teck oder für den Literaturnobelpreisträger Hermann Hesse, der sich 1899 in Kirchheim in Julie Hellmann verliebt hatte. Eine andere Forderung soll irgendwann verwirklicht werden: „Nach Auskunft unseres Verkehrsministers ist es vorgesehen, die S-Bahn mit Toiletten auszustatten – ab 2033.“
1547
habe die letzte Verbrennung einer Hexe in Kirchheim stattgefunden, sagte Andreas Kenner. Die historische Wahrheit scheint aber anders zu sein – und zwar noch vorteilhafter: Der Stadtgeschichte zufolge gab es nur wenige Hexenprozesse in Kirchheim und keine einzige Hinrichtung.