Das Tierheim in Kirchheim ist voll besetzt – nichts geht mehr, kein Platz ist frei. Während sich die einen Katzen nach dem Frühstück ein ruhiges Plätzchen zum Dösen suchen, schauen die anderen neugierig den Mitarbeiterinnen beim Putzen zu oder fordern eine kleine Schmuserunde ein. Die Kaninchen hoppeln durch ihr großzügiges Gehege und laben sich an Möhren und Grünzeug. Das wird samstags von Ilse Schlenker geliefert. Gegen 14 Uhr steuert die rüstige Seniorin Woche für Woche „denn’s Biomarkt“ an. Dort holt sie Obst und Gemüse ab, das der Lebensmittelmarkt nicht mehr verkaufen kann, den Kaninchen aber noch vorzüglich mundet. „Was für den Laden nicht mehr gut genug ist, kommt in eine Kiste rein. Dort darf ich mich bedienen“, erzählt sie. Und nicht nur das: Sie werde „zuvorkommend“ behandelt, kriegt immer ihren Cappuccino.
Doch die Nager haben einen empfindlichen Magen und können deshalb nur bestimmtes Grünzeug wie Sellerie oder Salat verputzen. Das hält Ilse Schlenker jedoch nicht davon ab, Tomaten, Paprika und Co. ebenfalls ins Auto zu packen. Ihrem Motto „No nix verkomma lassa“ bleibt sie weiterhin treu, zu sehr hat sie es verinnerlicht. Gedanken an die schlechte Zeit, insbesondere die Nachkriegsjahre, haben sich auch bei ihr eingeprägt. Um selbst etwas auf den Tisch zu bekommen, halfen sie und ihre Mutter einst in Mettingen ihren Nachbarn bei der Ernte und dem Einmachen. Das mit dem Einlegen macht sie bis heute. Aus dem für die Kaninchen unbrauchbaren Gemüse kocht sie leckere Tomatensoßen, Gemüsesuppen und süßsaures Gemüse. „Wenn es Himbeeren oder anderes Obst gibt, lese ich mir die Guten heraus und koche Marmelade. Mir macht das Spaß“, sagt sie. Weil sie die Köstlichkeiten nicht alleine aufessen kann, verteilt sie ihre Schätze großzügig an Bedürftige, ältere Nachbarn und kranke Freunde. Auch die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kommen in den Genuss ihrer „Resteverwertung“.
Vor Corona zählte Ilse Schlenker auch zum Team der ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer. Immer mittwochs und samstags bewaffneten sie und ihre Mitstreiter sich mit Besen, Wischmopp und Putzeimer, um die Katzenzimmer und die Außengehege zu reinigen. Die Arbeit ist zeitaufwendig, denn es gibt viele Nischen und Ecken, Kratzbäume und anderes Mobiliar, um das herumgefegt und gewischt werden muss. Auch das von Helge Schneider besungene Katzenklo muss gereinigt und mit neuer „Streu“ bestückt werden – und es gibt nicht nur eines. Auch Füttern gehörte zu ihren Aufgaben. „Störungsfrei“ verläuft kaum ein Arbeitseinsatz, denn die eine oder andere Mieze will gestreichelt werden oder fordert zum Spielen auf. Auch die Nager wollen zu ihrem Recht und sauberen Stall kommen. „Wir waren immer die gleiche Gruppe und haben auch gemeinsam eine Kaffeepause gemacht – wir waren ein gutes Team“, erinnert sich die Tierschützerin.
Zu ihrem Bedauern wurde sie eines Tages jedoch wegen der Pandemie von den jüngeren Mitstreitern gebeten, nicht mehr zu kommen. Sie machten sich Sorgen, dass sich Ilse Schlenker bei ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit mit Corona infizieren könnte. „Sie meinten, ich sei alt genug, dass ich nicht mehr schaffen muss. Dann habe ich mich auf das Futterholen spezialisiert. Da haben alle was davon: Es wird nichts weggeworfen und die Menschen freuen sich über meine Suppen“, erklärt sie. Bei ihrer wöchentlichen Visite im Tierheim schaut sie sich gern um und hält nach Neuzugängen Ausschau. „Huch – um Himmels willen: Seit wann ist der denn da?“, fragt sie völlig überrascht, als sie zum Händewaschen in den Personalraum geht und den in seinem Käfig sitzenden großen, bunten Scharlach-Ara sieht. Ganz so exotisch ist das Haustier von Ilse Schlenker nicht. Es ist eine ältere Perserkatze, Lily hat sie vor über zehn Jahren als Einzel- und Wohnungskatze übernommen.