Vom Erleiden starker Schmerzen über psychische Qualen bis hin zur Angst vor der völligen Unselbstständigkeit: Es gibt viele Gründe, durch die Menschen dazu bewegt werden, ihr Leben vorzeitig beenden zu wollen.
Beteiligt sich eine Person bewusst am Suizid eines anderen Menschen, spricht man gemeinhin von Sterbehilfe. Das polarisierende Thema rückte wieder vermehrt ins Zentrum öffentlichen Diskurses, nachdem das Bundesverfassungsgericht das bis dahin geltende Verbot von geschäftsmäßiger Beihilfe zum Suizid Anfang 2020 aufgehoben hatte. Bei dieser Form der Sterbehilfe wird das tödliche Mittel von einer anderen Person bereitgestellt, aber nicht verabreicht.
Wichtig ist für uns, bis zum Schluss bei den Menschen zu bleiben.
Sandra Beck, hauptamtliche Koordinatorin beim Hospizdienst Kirchheim
Das Thema Beihilfe zum Suizid (oder: assistierter Suizid) beschäftigt jedoch nicht nur Ethiker, Personen mit Sterbewunsch und deren Angehörige, sondern ebenso Menschen, in deren Berufsalltag Leid und Tod eine zentrale Rolle spielen. Mediziner, Pflegekräfte aber auch Hospizarbeiterinnen und -arbeiter sehen sich in diesem Kontext mit schwierigen Fragen konfrontiert. „Für uns war klar: Wir müssen uns als Dienst insgesamt damit befassen“, berichtet Reinhard Eberst, Leiter des Hospizdiensts Kirchheim. Zu diesem Anlass habe man alle haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden zu einem Fachtag eingeladen und das Thema gemeinsam diskutiert.
Konkrete Anfragen sind selten
„Es war sehr eindrucksvoll, zu hören, wie unterschiedlich jeder Einzelne das für sich beurteilt“, erzählt Angelika Bauer, die beim Hospizdienst hauptamtlich als Koordinatorin arbeitet. Von „Ich würde der Person sogar selbst das Mittel geben“ bis hin zu „Ich will überhaupt nichts damit zu tun haben“ sei alles dabei gewesen, ergänzt ihre Kollegin Sandra Beck.
Individuelle Meinungen oder Bewertungen seien für das 43-köpfige Team des Hospizdienstes allerdings unwesentlich. Wie Reinhard Eberst erklärt, sei das Ziel vielmehr gewesen, die allgemeine Haltung und Rolle des Dienstes im Kontext der Suizidassistenz zu erörtern und Leitlinien für den Umgang mit konkreten Anfragen festzulegen.
Sandra Beck stellt klar, dass das Thema Sterbehilfe den Mitarbeitenden im Arbeitsalltag nur selten begegne und lediglich in wenigen Einzelfälle ernsthaftes Interesse an einem assistierten Suizid bestanden habe. „Natürlich kommt es vor, dass Menschen in der letzten Lebensphase sehr leiden und der Wunsch besteht, das in irgendeiner Art und Weise abzukürzen“, erzählt die Hospizarbeiterin. „Dann kommen schon mal Aussagen wie: Kann ich jetzt nicht endlich eine Spritze haben, damit es vorbei ist?“ Obwohl es nur äußerst selten konkret werde, sei es für die Mitarbeitenden des Dienstes wichtig, auf derartige Fälle vorbereitet zu sein.
Die Begleitung kann weitergehen
„Wir sind am Ende zu dem Schluss gekommen, dass wir uns weder als Anbieter von assistiertem Suizid verstehen noch Menschen konkret dazu beraten“, fasst Reinhard Eberst das Ergebnis des Fachtags zusammen. Er weist in diesem Kontext auch darauf hin, dass der Hospizdienst unter dem Dach der Kirche sowie des Diakonieverbands Wendlingen agiere und es sich daher um eine wertegebundene Organisation handle.
Wir wollen herausfinden, wo dieser Wunsch herkommt.
Reinhard Eberst, Leiter des Hospizdienstes Kirchheim
Das heißt allerdings nicht, dass der Hospizdienst die Begleitung abbricht, falls sich jemand für den Freitod entscheidet. Die Begleitung, so Eberst, könne weitergehen; es werde den einzelnen Ehrenamtlichen jedoch freigestellt, ob sie sich an diesem Weg beteiligen möchten. „Wichtig ist für uns, bis zum Schluss bei den Menschen zu bleiben“, setzt Sandra Beck hinzu.
Ängste sind oft der Grund
Der Respekt vor den Wünschen der Betroffenen wird beim Kirchheimer Hospizdienst großgeschrieben. Man wolle nicht versuchen, Personen mit einem Todeswunsch zu beeinflussen. Der Dienst sieht seine Aufgabe vielmehr darin, das Gespräch zu suchen und über vorhandene Unterstützungsmöglichkeiten zu informieren. „Wir wollen herausfinden, wo dieser Wunsch herkommt“, erklärt Reinhard Eberst. Oft seien es große Ängste, die einen Suizidwillen antreiben – Ängste vor Demenz, vor Einsamkeit, vor Schmerzen oder davor, den Angehörigen zur Last zu fallen. Sei einmal klar, wodurch der Wunsch motiviert ist, könne man die Person eher auffangen und im besten Fall gemeinsam eine andere Lösung finden.
Hilfsnetzwerke als Präventionsmöglichkeit
„Es gibt viele Stimmen, die sagen, dass dieser Wunsch erlischt, wenn man die optimale Begleitung hat“, berichtet Angelika Bauer. „Ich stelle das in Frage.“ Dennoch betonen die Mitarbeitenden des Kirchheimer Hospizdiensts die Wichtigkeit einer guten medizinischen und psychischen Umsorgung für die Prävention von Suizidwünschen. „Problematisch ist, dass wir ein Hilfs- und Gesundheitssystem haben, in dem viele Dinge nicht möglich sind, weil es Personalengpässe gibt und nicht unbedingt ein Hilfsnetzwerk verfügbar ist“, bedauert Angelika Bauer. Schenkt man aktuellen Prognosen Glauben, wird sich diese Situation in den kommenden Jahren und Jahrzehnten noch deutlich zuspitzen.
„Es ist eine große Aufgabe“, fasst Reinhart Eberst zusammen. Ausschlaggebend ist in seinen Augen auch, sich um eine Gesellschaft zu bemühen, in der im Alter niemand einsam sein muss: „Ich fände es toll, wenn es uns innerhalb der Kommunen und der Nachbarschaften gelingt, uns gegenseitig Aufmerksamkeit zu schenken und aufeinander zu achten – und zwar schon bevor es ans Sterben geht.“
Wissenswertes zur Sterbehilfe
Das Bundesverfassungsgericht erklärte das Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zum Suizid im Februar 2020 für verfassungswidrig und begründete seine Entscheidung mit dem Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben.
Geschäftsmäßig heißt in diesem Fall nicht unbedingt, dass Geld im Spiel ist. Vielmehr geht es um die wiederholte Beihilfe zum Suizid – etwa, wenn Sterbehilfsorganisationen oder Ärzte bei mehreren Selbsttötungen assistieren. Ein einmaliger assistierter Suizid blieb bereits vor der Gesetzesänderung straffrei.
Die Beihilfe zum Suizid bewegt sich weiterhin in einer Grauzone und ist nur unter gewissen Voraussetzungen legal: Die Person muss urteilsfähig sein, sich aus freien Stücken für den Freitod entscheiden und das tödliche Mittel selbst einnehmen. Zudem setzen Sterbehilfsorganisationen in der Regel Aufklärungs- und Beratungsangebote sowie Wartefristen voraus.
Legal ist in Deutschland auch die passive Sterbehilfe. Darunter versteht man den Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen.
Bei der aktiven Sterbehilfe führt die andere Person den Tod herbei, indem sie etwa das entsprechende Mittel verabreicht. Die aktive Sterbehilfe ist in Deutschland weiterhin illegal.
Im Jahr 2023 beendeten 419 Menschen über die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) ihr Leben durch einen assistierten Suizid.
Im Vergleich: Die Gesamtanzahl der Suizide lag im Jahr 2023 deutschlandweit bei rund 10.300.