Nicht nur die Zeiten als solche ändern sich, sondern auch die Perspektive, mit der man auf längst vergangene Zeiten zurückblickt. „Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein“, dichtete Andreas Gryphius während des Dreißigjährigen Kriegs, und an dieser Systematik hat sich bis heute nichts geändert. Sie gilt auch für Denkmäler oder für Ehrungen in Form von Straßennamen. Der gefeierte Star von heute kann morgen in allgemeine Ungnade fallen, und der gefeierte Held von gestern ist vielleicht heute schon zur Unperson erklärt worden.
Das ist der Grund, warum sich Frank Bauer, Stadtarchivar und Leiter der Abteilung Kultur in Kirchheim, mit „historisch belasteten Bezeichnungen“ auseinandergesetzt hat. Es geht um Benennungen, die mit dem NS-Regime zusammenhängen könnten, aber auch um Personen, die nationalsozialistisches oder anderweitig menschenverachtendes Gedankengut verbreitet haben. Ebenfalls Gegenstand der Untersuchung: „Die Benennung erinnert an eine Persönlichkeit oder Ortschaft, die durch militärische Schlachten oder Kriegsverbrechen Berühmtheit erlangte.“
Frank Bauer hat nun eine erste Liste mit Straßennamen und Denkmälern erstellt, die er dem Ausschuss für Bildung, Soziales und Bürgerdienste vorlegte. Es begann mit der Annabergstraße, die an einen Ort bei Oppeln erinnert, in dem es nach dem Ersten Weltkrieg zu Kämpfen zwischen deutschen und polnischen Freikorps-Einheiten gekommen war.
Die Argonnenstraße bezieht sich auf eine Hügellandschaft in Nordfrankreich, den Schauplatz heftiger Kämpfe im Ersten Weltkrieg. Die Heinkelstraße kann als problematisch gelten, weil der Flugzeugbauer Ernst Heinkel für die Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg produzierte. Die Hindenburgstraße erinnert nicht nur an den
Feldmarschall, der im Ersten Weltkrieg einen entscheidenden Sieg bei Tannenberg erringen konnte – wonach eine weitere Kirchheimer Straße benannt ist –, sondern auch an den Reichspräsidenten, der Adolf Hitler Ende Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt hat. Dem Schriftsteller Ludwig Finckh und dem Mundartdichter August Lämmle lässt sich eine allzu große Nähe zur NSDAP und zum entsprechenden Gedankengut vorwerfen.
Etwas aus dem Rahmen fällt im Vergleich zu den bisher genannten Beispielen der Name Konrad Widerholt. In Kirchheim hat er nicht nur deshalb einen guten Klang, weil Widerholt nach dem Dreißigjährigen Krieg hier als Obervogt segensreich gewirkt hat. Auch seine Tätigkeit als Kommandant des Hohentwiels, die er ab 1634 ausübte, wurde lange als heldenhaft und verehrungswürdig betrachtet. Inzwischen aber hat sich der Blick auf seine erfolgreiche Guerilla-Taktik mit Raubzügen in der gesamten Umgebung gewandelt. Dass er „des Feindes Tort“ war – wie es an der Martinskirche bis heute zu lesen ist –, sieht man heute eher kritisch als bewundernd.
Zwei Denkmäler hat sich Frank Bauer ebenfalls näher angeschaut. Das zunächst harmlos wirkende Pferd auf dem Rossmarkt könnte wegen seines Schöpfers als bedenklich gelten: Fritz von Graevenitz war im Nationalsozialismus ein gefeierter Bildhauer. Beim Soldatendenkmal zwischen Alleenstraße und Max-Eyth-Haus wiederum stellen sich Passanten die Frage, warum hier ein Soldat auf einem Sockel steht.
„Die Denkmäler haben vieles geschönt“
Unter anderem zu diesem Denkmal hatte Norbert Häuser als Koordinator des Kleindenkmalprojekts im Kreis Esslingen 2014 gesagt: „Heute haben die Kriegerdenkmäler eher einen negativen Touch. Man sieht das mittlerweile eben anders. Die Denkmäler haben ja vieles geschönt.“ Damals hieß es im Teckboten: „Das Erbe der Denkmäler bleibt den Kirchheimern erhalten. Sie müssen jedes Mal aufs Neue einen zeitgemäßen Zugang dazu finden.“
Um diesen Zugang geht es nun: Frank Bauer empfiehlt, über Denkmäler oder Straßennamen durch Hinweistafeln samt QR-Codes zu informieren und eine Diskussion in Gang zu setzen – ohne dass deswegen die Figuren entfernt oder die Straßen umbenannt werden müssen. Auf die Anregung von Ralf Gerber (Freie Wähler), auch im Interesse der Anwohner von Umbenennungen abzusehen, stellte Oberbürgermeister Pascal Bader abschließend fest: „Es geht gar nicht ums Umbenennen. Es geht um die Frage, wie man damit umgeht.“ Die vorgeschlagene Antwort leuchtet ein: durch Information und Diskussion.