Ganz unterschiedlich sind die Interessen, wenn es darum geht, die „Teilzeit-Fußgängerzone“ in der Dettinger Straße in ein weitgehend autofreies Gebiet umzuwandeln. Die Kirchheimer Stadtverwaltung hatte nun alle Interessierten ins Alte Gemeindehaus eingeladen, um ihre Konzepte vorzustellen und „einen Dialog auf Augenhöhe zu führen“, wie es Moderator Dr. Sven Fries, der Geschäftsführer des Büros „Stadtberatung“ mit Sitz in Ostfildern, formulierte. Allerdings schien die Diskussion aus Sicht der Stadtverwaltung nicht mehr ergebnisoffen zu sein.
Nach Gemeinderatsbeschluss vom vergangenen November soll die bestehende „Teilzeit-Fußgängerzone“ zwischen Walkstraße und Ziegel-/Stiegelstraße nun in eine dauerhafte Fußgängerzone umgewandelt werden. Die Walkstraße wäre danach wieder in beide Richtungen befahrbar – weil es nicht besonders sinnvoll ist, eine Sackgasse als Einbahnstraße anzubieten.
Südlich davon, zwischen Ziegel-/Stiegelstraße und Lohmühlegasse, soll die Dettinger Straße ebenfalls zur Fußgängerzone werden – wenn auch zunächst auf zwei Jahre befristet. Für Anwohner und Lieferverkehr, die die neue Fußgängerzone per Ausnahmegenehmigung nutzen können, soll außerdem eine Einbahnstraßenregelung gelten, die von Süden nach Norden führt, also von der Lohmühlegasse zur Ziegelstraße. Wenn es weiterhin Fahrzeugverkehr in diesem Teil der Fußgängerzone gibt, so dürfte es doch zumindest kein Begegnungsverkehr mehr sein.
Wer in der Lohmühlegasse parkt, könnte künftig nicht mehr nach Norden über die Dettinger Straße wegfahren. Dort wäre dann ja Fußgängerzone. Der Weg würde also nach Süden führen – und dort zwingend über die Limburgstraße zur Hindenburgstraße.
Einbahnstraße geplant
Der Grund für diese Verkehrsregelung: Vom Gaiserplatz bis zur Limburgstraße soll die Dettinger Straße ebenfalls eine Einbahnstraße werden. Dadurch ließe sich auch auf diesem Abschnitt der Begegnungsverkehr vermeiden. Längs des Rewe-Markts würden Parkplätze entstehen – weit mehr an der Zahl als die fünf, die bislang am „Rössle-Platz“ zur Verfügung stehen.
Je nachdem, zu welcher „Partei“ die Zuhörer gehören, applaudieren sie bei der Vorstellung der Pläne – oder sie begehren heftig dagegen auf. Die Ruhe vor dem Verkehrslärm und vor dem Verkehrschaos ist für die Anwohner ein hohes Gut, für das sie vehement eintreten. Ebenso vehement pochen die Geschäftsleute darauf, dass ihre Kunden nach wie vor bis vor den Eingang vorfahren können.
Unterschiedliche Branchen stellen sich vor: Wer im Sportgeschäft vier Paar Ski überholen lässt oder neue Hanteln bestellt hat, wird beides nicht 100 oder 200 Meter weit tragen wollen. Wer im „ältesten Ökoladen“ Kirchheims einkauft, trägt im Schnitt einen 15 Kilogramm schweren Einkaufskorb, war zu erfahren. Auch diese Kunden wollen vor dem Laden parken. Gleiches gilt für Menschen, die einen Catering-Service in Anspruch nehmen und anschließend Geschirr und Gerätschaften selbst zurückbringen. Auch sie sind nicht bereit, öfters als einmal über 200 Meter oder mehr hinweg diese unhandlichen Lasten zu tragen.
Die betroffenen Geschäftsleute fürchten ernsthaft um ihre Existenz. Da hilft ihnen auch der Hinweis auf die Ausnahmeregelungen für ihre Kunden nichts – erst recht nicht, wenn über Poller diskutiert wird.
Was die Ziegelstraße betrifft, stellt die Stadt eigentlich zwei Varianten vor: Außer der Sackgasse, die in beide Richtungen zu befahren ist, erwähnt Marcus Deger, der Leiter des städtischen Sachgebiets Ordnung und Verkehr, noch die Möglichkeit, auch diesen Teil der Ziegelstraße zur Fußgängerzone zu machen. Er schränkt aber gleich ein: Wegen der vielen Tiefgaragennutzer bezweifelt er, dass das Regierungspräsidium zustimmen würde.
Keine Lösung
Eine Lösung gibt es an diesem Abend nicht, denn Anwohner und Stadtverwaltung versteifen sich darauf, dass der Gemeinderat grundsätzlich schon eine Entscheidung getroffen habe. Demnach könnte die „Einbahnstraßen-Fußgängerzone“ von der Lohmühlegasse bis zur Ziegelstraße Ende 2022/Anfang 2023 umgesetzt werden. Die dauerhafte Fußgängerzone von der Ziegelstraße bis zur Walkstraße soll dagegen bereits im August eingerichtet werden.
Der Anfrage, ob nicht ein Einbahnverkehr ohne Fußgängerzone die passende Kompromisslösung darstellen könne, verneinte Bürgermeister Riemer: „Dann bleibt der Schleichverkehr erhalten – und zusätzlich entsteht ein weiterer Umgehungsverkehr.“ Unbeantwortet blieb der Aufschrei einer Anwohnerin der Limburgstraße: „Wenn der ganze Verkehr über unsere Straße führt, ist das Problem nicht gelöst – nur verlagert, und zwar auf unsere Kosten.“