Kirchheim
Suche nach dem Licht am Ende des Tunnels

Literatur Markus Orths liest in der Auferstehungskirche aus seinem Roman „Picknick im Dunkeln“.

Kirchheim. Es klingt nach einer literarischen Versuchsanordnung. Zwei Männer in einem stockdunklen Tunnel. Sie wissen weder, wie sie dorthin gekommen sind, noch, wie sie wieder hinaus gelangen. Zudem handelt es sich um ein unmögliches Zusammentreffen. Liegt doch ein Abgrund von 700 Jahren zwischen beiden Protagonisten.

In seinem Roman „Picknick im Dunkeln“ lässt Markus Orths den Komiker Stan Laurel auf den mittelalterlichen Meisterdenker Thomas von Aquin treffen. Auf Einladung des evangelischen Bildungswerks und der Buchhandlung Zimmermann las der Autor in der Kirchheimer Auferstehungskirche aus seinem Roman und stellte sich den Fragen des Publikums. Auch wenn es sich Orths zufolge zunächst um eine „Schnapsidee“ gehandelt habe, bleibt die poetische Fruchtbarkeit dieser ungewöhnlichen Konstellation unbenommen. Zumal es frappierende Parallelen zwischen Laurel und Thomas gibt.

Beide waren auf kongeniale Partner angewiesen, um ihr Talent zu entfalten. Ohne Oliver Hardy wäre Laurel nicht vor die Kamera getreten, und das thomistische Denken vollzieht sich als Auseinandersetzung mit Aristoteles. Im Alter von fünf Jahren erlebt Laurel seine Initiation in die Welt der Komödie. Im selben Alter beginnt für Thomas ein Leben im Klos­ter, wo ihm das Lachen fortan untersagt ist.

Seine beiden Helden stellt ­Orths in unergründliche Fins­ternis. Untergehakt und tastend macht sich das ungleiche Paar auf, das Licht am Ende des Tunnels zu suchen. Zwangsläufig sind sie mit den großen Fragen des Daseins konfrontiert. So fällt gerade den Dialogen die Aufgabe zu, dem Romangeschehen Dynamik zu verleihen.

„Picknick im Dunkeln“ ist ein Roman über das Erzählen selbst. Orths setzt nicht einfach auf den Effekt, der sich aus dem epochalen Altersunterschied seiner Protagonisten ergibt. Vielmehr ist gerade diese Distanz das poetische Potenzial, aus dem sich die Entwicklung der Figuren speist. Dies geschieht ebenso geistreich wie unterhaltsam. Dass der mittelalterliche Denker ein skeptisches Bild der Moderne skizziert, hält den Leser zur schmunzelnden Selbstreflexion an. Keineswegs lässt der Text Thomas als kurioses Fossil auferstehen. Angesichts eines grassierenden Unbehagens an der Moderne mag seine unerschütterliche Heilsgewissheit manchem Zeitgenossen attraktiv erscheinen. Aber auch Stan bleibt nicht auf die Rolle des Spaßmachers beschränkt. Laurel, das Genie des Lachens, führt Thomas, das Genie des Denkens, in die höhere Weisheit der Komödie ein. Mit durchschlagender Wirkung, wie die überraschend elegante Wendung zum Schluss des Romans zeigt.

Orths gab dem Publikum bereitwillig Einblicke in die Entstehung des Romans. Ein wesentlicher Motor des Textes sei die posthume Annäherung an seinen Vater gewesen. Geteilt habe er mit ihm die Freude an der Komik. Als trennend hingegen habe Orths, der sich als Atheist bezeichnet, die Verwurzelung seines Vaters im christlichen Glauben empfunden. Die Arbeit am Roman habe ihm Gelegenheit geboten, der Klarheit und Gelassenheit in den Schriften Thomas von Aquins nachzuspüren und somit seinem verstorbenen Vater näherzukommen.

„Picknick im Dunkeln“ zeigt, dass metaphysischer Gehalt und gute Unterhaltung einander nicht ausschließen – wie auch die angeregte Diskussion in der Auferstehungskirche belegte, in der zahlreiche Facetten des Textes ebenso tiefgründig wie heiter zur Sprache kamen. Florian Stegmaier