Teckboten-Weihnachtsaktion
Suizidzahlen steigen seit 2020

Beim Arbeitskreis Leben Nürtingen-Kirchheim erhalten Menschen in Lebenskrisen Hilfe. Der gemeinnützige Verein wird durch die Weihnachtsaktion des Teckboten finanziell unterstützt.

Ein großes Thema ist aktuell Selbsttötungsgefahr bei Jugendlichen. Deshalb bietet der AKL auch Präventionsprojekte an Schulen im Kreis Esslingen an. Foto: Carsten Riedl

Seit 2020 steigen die Suizidzahlen in ganz Deutschland, sagt Dr. Alena Rögele, Geschäftsleiterin des Arbeitskreises Leben Nürtingen-Kirchheim (AKL). Diese Entwicklung ist auch in ihrer täglichen Arbeit zu spüren. Ob dies mit den Folgen der Corona-Pandemie zusammenhängt, vermag sie nicht zu sagen. Doch unbestritten sei, dass die Pandemie für zahlreiche Menschen eine psychische Belastung darstellte. Außerdem sei aktuell „durch viele große Krisen das Gesamtstress-Niveau erhöht“, gibt Rögele zu bedenken und verweist auf die Klimakrise, die Inflation, den Krieg in der Ukraine, den Ausgang der Präsidentschaftswahl in den USA und das Ende der Ampel-Koalition in Deutschland. Dies alles erzeuge Unsicherheiten und Ängste – „und das ist ein perfekter Nährboden für persönliche Krisen“.

Seit 41 Jahren gibt es den AKL Nürtingen-Kirchheim mit Beratungsstellen in beiden Städten. Dort erhalten Menschen in Lebenskrisen und bei Selbsttötungsgefahr Hilfe; auch deren Angehörige und andere Personen in ihrem Umfeld finden beim AKL Unterstützung. Das Angebot umfasst Einzelberatungen durch hauptamtliche Fachkräfte (darunter zwei Psychologinnen und eine Sozialarbeiterin), Krisenbegleitung durch Ehrenamtliche, Präventionsarbeit mit Jugendlichen, Schulungsangebote für Fachkräfte in der Altenhilfe und einen offenen AKL-Treff, mit dem Isolation und Einsamkeit entgegengewirkt wird.

 

Oft reicht eine Person, die einfach zuhört.

Alena Rögele, Geschäftsleiterin des AKL

 

Bei den Gesprächen mit den Fachkräften handle es sich nicht um ein therapeutisches Angebot, gibt Rögele zu bedenken. „Aber sie helfen, um in schwierigen Situationen Entlastung zu bekommen und auch um sich selbst besser zu verstehen.“ Die Krisenbegleitung durch Ehrenamtliche werde darüber hinaus angeboten, „weil nicht jeder, dem es nicht gut geht, unbedingt eine Fachkraft braucht“, verdeutlicht die Psychologin. „Oft reicht eine Person aus, die einfach zuhört.“ Die Begleitung durch die Ehrenamtlichen finde nicht in den Beratungsstellen selbst statt, sondern „in alltagsnaher Form“ zum Beispiel während eines gemeinsamen Spaziergangs oder eines Café-Besuchs. Aktuell verfügt der AKL über 16 Ehrenamtliche, die diese Begleitungen übernehmen.

Liege akute Selbsttötungsgefahr vor, beraten stets die Fachkräfte die Betroffenen – ebenso bei schwereren psychischen Erkrankungen. „Bei Trauerthemen eignet sich hingegen gut eine ehrenamtliche Begleitung“, ergänzt Rögele. Ihr ist es wichtig zu betonen, dass keine Suizidalität vorliegen muss, um zum AKL kommen zu dürfen. „Wir sind offen für alle und können, wenn nötig, auch an andere Stellen weiterverweisen, zum Beispiel an Pro Familia, wenn es um das Thema Schwangerschaft geht.“ Denn der AKL sei nicht für alle Themen der richtige Ansprechpartner, „aber wir schauen, dass niemand geht, ohne etwas in der Hand zu haben“. Generell sei die Bandbreite an Themen, mit denen es der AKL in seiner täglichen Arbeit zu tun hat, sehr groß: „Das reicht von Trennung, Liebeskummer oder Jobverlust bis hin zu schweren Krankheiten, Suizid von Angehörigen, traumatischen Erlebnissen und Einsamkeit.“

Das hauptamtliche Team des AKL unterstützt Betroffene in Lebenskrisen. Hinzu kommen 16 Ehrenamtliche. Foto: pr

Beim Gruppenangebot des AKL handelt es sich um einen einmal pro Woche stattfindende Treff: Dabei kommen immer montags von 15.30 bis 18.30 Uhr Interessierte im Café Medla in Nürtingen zusammen. „Es ist ein offenes Kontaktangebot, gerade für Menschen in Einsamkeit“, sagt Rögele. Die Besucherinnen und Besucher können dort „über alles reden – ob übers Wetter oder über ihre belastende Situation“. Jeweils zwei Fachkräfte und Ehrenamtliche begleiten diesen offenen Treff, bei dem es bewusst kein Programm gibt. „Es ist ein Zusammenkommen, bei dem man sich unterhält, Kaffee oder Tee trinkt und ein Stück Kuchen isst.“ Für viele sei es ein sehr wichtiges Angebot, das gut angenommen werde. Wichtig sei die Niedrigschwelligkeit ohne Anmeldung oder Verpflichtung.

Ein großes Thema sei aktuell Selbsttötungsgefahr bei Jugendlichen. „Deshalb bieten wir auch Präventionsprojekte an Schulen im Kreis Esslingen an.“ Die Nachfrage sei groß. Doch um diese Prävention auch im kommenden Jahr aufrechterhalten zu können, ist der AKL auf Spenden angewiesen. Und auch für die anderen Angebote, die für die Betroffenen kostenlos sind, benötigt der AKL Spendengelder.

Zahl der Anfragen auf dem höchsten Stand seit 2017

Gerade die dunkle Jahreszeit und speziell die Zeit um die Weihnachtsfeiertage kann für Menschen in Krisen besonders schwierig sein, weiß Alena Rögele. So hätten die Fachkräfte des AKL zwischen November 2023 und Februar 2024 etwa 120 Einzelberatungen durchgeführt. Hinzu seien Vor- und Nachbereitungen der Gespräche, Koordination der Termine und Rücksprache in Inter- oder Supervisionen gekommen, um die bestmögliche Unterstützung für die Menschen zu gewährleisten.

Insgesamt erhielt der AKL Nürtingen-Kirchheim im vergangenen Jahr Anfragen von knapp 600 Menschen aus der Region. Mehr als 350 davon seien umfassend beraten oder begleitet worden. Damit liege die Zahl der Anfragen auf dem höchsten Stand seit 2017.

Als gemeinnütziger Verein erhält der AKL Zuschüsse des Landes Baden-Württemberg, des Landkreises Esslingen sowie der Kommunen Nürtingen und Kirchheim. „Den Rest müssen wir über Spendengelder aufbringen“, sagt Rögele. Neben Privatleuten unterstützen auch Stiftungen und Unternehmen die Arbeit des AKL. hei