Kirchheim
„Summer in the City“ – Lebensgefühl oder Albtraum?

Klimawandel Städte müssen sich und ihre Bewohner gegen zunehmende Hitze in den Sommermonaten wappnen. In Kirchheim gibt es erste Maßnahmen, aber noch keinen festgelegten Plan. Von Bernd Köble

Lange hat sich der Sommer gnädig gezeigt gegenüber temperaturgeplagten Städtern. Mit der ersten Hitzewelle des Jahres kehren auch die Fragen zurück: Wo finde ich Abkühlung, wie kann ich mich schützen, welche Hilfen gibt es? Mannheim war eine der ersten Städte im Land, die Antworten darauf entwickelt haben. Dort werden Hotspots lokalisiert, Maßnahmen gebündelt und Betroffene über eine Hitze-App auf dem Laufenden gehalten. Inzwischen gibt es kaum mehr eine Kommune, die sich nicht mit Aktionsplänen gegen die sommerliche Drohkulisse befasst. Wie eine Stadt mit dem Thema Klimawandel umgeht, bestimmt nicht nur die Lebensqualität ihrer Bewohner, sie kann vor allem für gefährdete Bevölkerungsgruppen wie Ältere, Kranke oder Wohnsitzlose lebenswichtig sein.

 

Das Thema steckt noch in den Kinderschuhen.
Günter Riemer
Kirchheims Bürgermeister zu den Vorbereitungen eines Hitzeaktionsplans für die Stadt
 

Kirchheims Bürgermeister Günter Riemer hat den Klimawandel, wie er sagt, täglich vor Augen. Der Blick aus seinem Büro fällt direkt auf die Kastanienbäume am Krautmarkt. Sie sind ein wichtiger Teil der grünen Lunge der Stadt. Jetzt beginnen sich die ersten Blätter Anfang Juli zu verfärben. Dabei war das Frühjahr so kühl und regenreich wie lange nicht mehr. Rund 12 000 registrierte Bäume gibt es auf städtischem Grund. Wo neu gepflanzt oder Bestand ersetzt werden muss, kommen in Absprache mit dem Forstamt längst nur noch Baumarten infrage, die nach derzeitigem Stand als klimaresistent gelten. „Wir müssen versuchen, das Grün in der Stadt zu halten“, sagt Günter Riemer. „Wo immer es geht.“ Während die Welt das im Pariser Klima-Abkommen verankerte 1,5-Grad-Ziel längst aus den Augen verliert, erklärt Kirchheims Bürgermeister, was klimaresistent inzwischen bedeutet: Bäume, die einen Temperaturanstieg von vier Grad im Mittel aushalten.  

Grün in der Stadt, das ist längst nicht mehr nur schön fürs Auge. Weil Stadtflächen immer wertvoller werden, Wohnraum fehlt und Begriffe wie „Innenverdichtung“ städtebaulich als Gebot der Stunde gelten, bleibt Städten nur der Spagat. Das Schlagwort heißt grün-blaue Infrastruktur. Wo Blätterdächer Schutz vor der Sonne bieten und Wasserläufe die Umgebung kühlen, lässt es sich im Sommer am ehesten aushalten. Während sich fast jede Kommune zu Überflutungsrisiken und Maßnahmen gegen Starkregen den Kopf zerbricht, wird zunehmend auch das Gegenteil zum Problem: Niedrigwasser. „Wir haben Nebenläufe von Lauter und Lindach, die wochenlang gar kein Wasser führen“, stellt Günter Riemer fest. Der Kirchheimer Fischerverein hat jüngst Alarm geschlagen, weil er die Bestände im Sonnensee, der unterhalb des Schafhofs vom Westerbach gespeist wird, massiv bedroht sieht. Doch Wasser bietet nicht nur Fischen und Amphibien Lebensraum. Es reguliert auch das Klima in der Stadt.

Wie wirken sich die Folgen des Klimawandels auf die Bevölkerung aus? Dieser Frage ist die Stadt Kirchheim im vergangenen Jahr gemeinsam mit der Uni Stuttgart in einer als repräsentativ eingestuften Umfrage in ausgewählten Haushalten nachgegangen. Dabei ging es auch um Erfahrungen mit Starkregen, Überflutungen und Hagel. Beim Thema Temperaturanstieg wurde deutlich: 68 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass die Anpassung an Hitzewellen hohe Priorität bei der Stadtplanung haben sollte. Weniger als zehn Prozent sehen sich auf künftige Hitzewellen gut vorbereitet.

Was also kann die Stadt tun? „Die Möglichkeiten sind sehr eingeschränkt“, zieht Kirchheims Baubürgermeister Günter Riemer ein ernüchterndes Fazit. Worum es bisher geht: um Dachbegrünungen auf städtischen Gebäuden oder um den Erhalt von Grünflächen wie der Altbaumbestand am Rand des neuen Steingau-Quartiers, der in den kommenden zwei Jahren zu einem „Pocket-Park“ – einer Mini-Oase zwischen Wohnblöcken – umgestaltet werden soll. Sobald die Baukolonnen abgezogen sind, soll in Kirchheims jüngstem Wohnviertel auch Klimapflaster verlegt werden. Das sind grobporige Steine, die Wasser wie ein Schwamm speichern und als Verdunstungskälte wieder abgeben können – vorausgesetzt es regnet. Gleichzeitig erhalten in diesem und im neuen Jahr neun Bushaltestellen auf dem Schafhof eine Bedachung zum Schutz Wartender vor unbarmherziger Sonne. Weitere Häuschen in der Stadt sollen schrittweise folgen. Und: Seit vergangenem Jahr gibt es am Rossmarkt und an der Stadtbücherei für Passanten zwei Trinkbrunnen mit kostenlosem Wasser. 

Ob das alles genügt, weiß auch Riemer nicht. „Das Thema“, sagt er, „wird in den kommenden Jahren eines unserer wesentlichen Aufgaben sein.“ Und ein Thema, das auch Zukunftsprojekte, wie das geplante Gewerbegebiet „Bohnau Süd“ begleiten wird. Weil die 21 Hektar große Fläche in einer Kaltluftschneise liegt, die in die Stadt führt, bräuchte es ein deutliches Höhenlimit für Gebäude, um sicherzustellen, dass kühle Luft auch künftig ungehindert strömen kann. Das alles, damit mit dem vielbesungenen „Summer in the City“ auch weiterhin ein Lebensgefühl assoziiert wird. Und nicht der blanke Horror. 

 

Bisher noch keine Temperatursonden

In Kirchheim gibt es stationäre Sensoren, die von der Verwaltung auszuwertende Daten sammeln. Dabei geht es beispielsweise um die Frequenz auf öffentlichen Parkplätzen oder die Ermittlung von Risiken bei Starkregen. Seit Kurzem gibt es Pegelmess-Sonden am besonders von Hochwasser betroffenen Dupiggraben in Ötlingen, die rechtzeitig vor Überflutungen warnen sollen.

Temperatur-Sonden zur Ermittlung von Hitzepolen im Stadtgebiet oder zur lokalen Klimaentwicklung gibt es bisher keine. Die nächstgelegene amtliche Wetterstation des Deutschen Wetterdienstes befindet sich in Notzingen. bk