Kirchheim
Tauchen im Abwasserbecken: Ungeklärte Arbeitsverhältnisse

Industrietaucher Wer beruflich jeden Tag in Klärbecken steigt, sieht keinen großen Grund mehr, auch im Urlaub noch zu tauchen. Trotzdem genießen die Männer ihren ungewöhlichen Arbeitsalltag. Von Joachim Lenk

Der Job kann „schlauchen“: Nach dem Tauchgang im Klärbecken gibt es für Finn Radau durch seinen Kollegen Tommas Schlichting die erste Reinigungsstufe.     Foto: Joachim Lenk

Es ist ein „Scheiß-Job“: Die Rede ist von Industrietauchern im Allgemeinen, von Kläranlagentauchern im Speziellen. Sie reinigen verstopfte Gitter und die sogenannten Faultürme der Klärbecken, erledigen zudem Reparatur- und Handwerksarbeiten in der braunen Brühe. In Deutschland gibt es rund ein
 

Ein Traumjob – es gibt nichts Schöneres.
Finn Radau
und seine Kollegen über das Tauchen in Kläranlagen

Dutzend Firmen, die sich auf diese Arbeiten mit hohem Ekelfaktor spezialisiert haben. Eine davon ist die Eurodiver 24 GmbH aus der Nähe von Wacken (Schleswig-Holstein), die mit ihren Tauchern immer wieder in Baden-Württemberg im Einsatz ist.

So zum Beispiel im Landkreis Reutlingen. In der Kläranlage der Gemeinde Gomadingen ist im Belüftungsbecken die vorhandene Leitung zur Versorgung der Belüfter an der umlaufenden Räumerbrücke korrodiert. Sie wird durch eine zeitgemäße und energiesparende Anlage ersetzt. Dazu sind zahlreiche Arbeiten im und um das knapp 2000 Kubikmeter Abwasser fassende Becken notwendig. Um es nicht ablassen zu müssen, werden die Kläranlagentaucher gerufen. Das sei günstiger, nicht so aufwendig, und die Bakterienkulturen im Abwasser bleiben erhalten, sagt Klärwärter Jürgen Reiner.

Drei Mann rücken in einem Wohnmobil und einem Begleitfahrzeug an. Sie bleiben ein paar Tage auf dem Gelände der Kläranlage, wo sie abwechselnd mehrmals in ihre doppelschichtigen Spezialgummianzüge schlüpfen.

Heute ist Finn Radau an der Reihe. Den schwarzen Trockentauchanzug und die blauen Handschuhe hat der 24-Jährige bereits angezogen. Sein Kollege Tommas Schlichting hilft ihm, die Halskrause überzustülpen und den Tauchhelm aufzusetzen, der mit dem Tauchschlauch verbunden ist. Dann reicht er ihm noch den 20 Kilogramm schweren Bleigurt.

„Alles okay?“. Radau streckt den Daumen nach oben. Rückwärts steigt er über die Leiter langsam ins Abwasser, das eine Temperatur von 8,1 Grad Celsius hat. Wahrlich kein Badewetter bei einer Außentemperatur von knapp zehn Grad Celsius. Die Sichtweite in der braunen Brühe beträgt ein paar Millimeter. „Man kann da unten die Hand nicht vor den Augen sehen“, weiß Schlichting, der ges­tern dort gearbeitet hat. Und das funktioniert? „Wenn man nachts mit seiner Frau unter der Decke liegt, findet man durch Tasten doch auch alles, was man finden möchte“, antwortet der Industrietaucher knitz und lacht dabei.
 

Auf den Tastsinn kommt es an

In vier Meter Tiefe verlässt man sich ebenfalls auf seinen Tastsinn. Es rauscht und röchelt aus dem Tauchertelefon. Radau ist in dem fäkalbelasteten Wasser jederzeit mit seinem Kollegen in Kontakt. Im Hintergrund läuft im Begleitfahrzeug ein Kompressor, der über den langen Schlauch den nötigen Sauerstoff liefert. Kollege Hartmut Danzenhagen lässt eine Bohrmaschine ins Wasser. Ein paar Luftblasen steigen auf. „Ich habe sie“, ist über Funk zu hören. Kurz danach gibt es ein brummendes Geräusch. Ist das nicht gefährlich? „Man muss auf seine Finger aufpassen“, antwortet Danzenhagen.

Nach ein paar Minuten schwimmt Radau weiter und bohrt wieder Löcher, wo er später Verstrebungen befestigen wird. Zwischendurch taucht er auf und bringt einen alten Schraubenschlüssel an die Wasseroberfläche, der wohl einem Klärwärter versehentlich ins Becken gefallen ist. Schlichting steht die ganze Zeit über am Beckenrand und hat den 48 Meter langen Luftversorgungsschlauch im Auge. Er erzählt, dass er und seine Kollegen nicht nur unter Wasser bohren. Den Umgang mit Schweißbrenner, Flex, Säge, Zange, Schraubendreher und Winkelschneider beherrschen sie ebenfalls aus dem Effeff. Nach eineinhalb Stunden ist die Arbeit an diesem Nachmittag beendet. Radau steigt aus dem Becken und befreit sich von seiner Last.

Der Geruch des Wassers ist nach der Vorklärung gar nicht mehr so schlimm, bemerkt der Klärwärter, der die Szenerie beobachtet. Schlichting begleitet Radau hinter das Gebäude, holt den Wasserschlauch und spritzt den Neoprenanzug samt Mann von oben bis unten sowie von vorne und hinten mehrere Minuten lang ab. Danach verschwindet der unter die Dusche. Auf dem Weg dorthin versichert er, dass er mit keinem einzigen Tropfen der Brühe in Kontakt gekommen ist.

Auch bei dieser Arbeit gibt es Nachwuchsprobleme, räumen die Männer ein. Am Verdienst kann es nicht liegen. Der Zahltag sei in Ordnung, sagt Schlichting, ohne einen Betrag zu nennen. Googelt man den Verdienst, sollen Klärschlammtaucher bis zu 600 Euro am Tag verdienen. Es sei ihnen gegönnt. Auch wenn der Ekelfaktor dieser Arbeit den Auftritt der C-Promis im Dschungelcamp für Außenstehende mühelos übertrifft, sprechen die Männer von einem „Traumjob“, den sie haben. „Es gibt nichts Schöneres“, sagen sie übereinstimmend.

Tauchen sie im Urlaub auch mal in klarem Wasser, wo ihnen keine Tampons, Haare, Klopapier oder andere ekelerregenden Gegenstände, sondern bunte Fische entgegenschwimmen und Korallen zu sehen sind? Sie schütteln den Kopf. Wenn man so oft im Wasser zu tun hat, suche man sich in der Freizeit andere Ziele.