Kirchheim
Testen statt Tanzen

Corona Im Schnelltestzentrum Dettingen, das eigentlich eine Tanzschule ist, testet Inhaber Holger Schopf sieben Tage die Woche von früh bis spät. Von Antje Dörr

Dort, wo sonst Ehepaare einen Walzer aufs Parkett legen, steht ein Mann mit Kittel, Mundschutz und Gesichtsschild und zieht ein weiteres Wattestäbchen aus der Verpackung. Aus den Lautsprechern ist Tanzmusik zu hören. Vielleicht soll die Musik für gute Laune sorgen, denn so richtig angenehm findet wohl niemand das, was gleich kommt. Vielleicht soll sie aber auch daran erinnern, dass dieser Ort, der aktuell „Schnelltestzentrum Dettingen“ heißt, eigentlich eine Tanzschule ist. Und der Mann mit dem Kittel normalerweise anderen das Tanzen beibringt, anstatt Freibriefe für Biergarten-Besuche oder die Wilhelma auszustellen. Oder eben nicht.

Aber normal ist schon seit Monaten nichts, und Walzer getanzt wurde hier zum letzten Mal, als der Herbstwind die Blätter von den Bäumen blies. „Am 2. November mussten wir den Betrieb einstellen“, sagt Holger Schopf. Es folgte viel Nichtstun für einen jungen Mann, der offensichtlich Energie für Zehn hat. Geldsorgen waren es nicht, die den Inhaber schließlich bewogen, seine Tanzschule in ein Schnelltestzentrum zu verwandeln. „Das, was der Staat zahlt, ist völlig okay“, findet er und bezieht sich damit auf die 90 Prozent der Fixkosten, die er aktuell erhält. Für seine privaten Kosten habe er Hartz-IV beantragt. „Es heißt ja ‘Überbrückungshilfe’, und nicht ‘Werd’-damit-reich-Hilfe’“, sagt Schopf. Vielmehr sei es Langeweile gewesen. „Immer nur schlafen, aufstehen, fernsehen und wieder schlafen, das war auf die Dauer nichts“. Als sein ehemaliger Hausarzt ihn fragte, ob er nicht ein Schnelltestzentrum eröffnen wolle – damals das erste in Dettingen – war Schopf sofort Feuer und Flamme. Geschult hat ihn der Hausarzt persönlich. „Keine Fünf-Minuten-Online-Schulung“, betont er.

 

Das, was der Staat zahlt, ist völlig okay.
Holger Schopf
Tanzlehrer und Schnelltestzentrum-Betreiber über die Finanzhilfen
 

Schopfs Anspruch ist, dass die Tests korrekt und möglichst schmerzfrei durchgeführt werden. Als sein Schnelltestzentrum am 23. März eröffnete, waren die nasalen Tests, mit denen nur im vorderen Nasenbereich abgestrichen wird, noch nicht so massenhaft auf dem Markt wie jetzt. "Siebeneinhalb Zentimeter in die Nase wollte ich aber nicht“, sagt Holger Schopf und bezieht sich damit auf den Nasen-Rachen-Abstrich, der von vielen Menschen als deutlich unangenehmer wahrgenommen wird. „Ich habe gefühlt zwei Tage lang alle Großhändler abtelefoniert, um die besseren Tests zu bekommen. Auch die Adler-Apotheke konnte mir welche liefern“, erinnert er sich. Weil diese Tests anfangs teurer waren als der Betrag, der erstattet wurde, legte Holger Schopf einen Euro pro Abstrich drauf. „Man muss ja keinem mehr weh tun als nötig“, sagt er. Sich Zeit zu nehmen, ist dem Tanzlehrer ebenfalls wichtig. „Massenabfertigung will ich nicht machen. Ich mache pro Stunde maximal neun oder zehn Tests. Mal ist wer ängstlicher oder hat schlechte Erfahrungen gemacht“, sagt er. Mit Kindern zählt er bis Acht, dann ist ein Nasenloch geschafft. Zur Belohnung gibt’s Eis oder Gummibärchen. 

Seit man für fast alles ein negatives Testergebnis braucht, sieht Holger Schopf in so viele Nasenlöcher wie nie zuvor. Sieben Tage die Woche, täglich bis zu zehn Stunden. 100 bis 120 Tests schafft er am Tag. „99 Prozent der Tests mache ich selbst. Ich habe eine Mitarbeiterin, die unterstützend eingreift, wenn Not am Mann ist“, sagt er. Seit ein paar Tagen streicht er immer mehr Menschen ab, die ins Freibad gehen möchten. „Am Wochenende wollen die Leute wandern gehen und vielleicht irgendwo einkehren“, sagt er. Auch für Freizeit-Beschäftigung mit den Kindern – Besuche in der Wilhelma, der Nymphaea oder im Europapark – kämen die Menschen zu ihm, um sich ein Zertifikat zu holen. 

Sollten die Infektionszahlen wieder sinken, darf die Tanzschule Mitte Juni wieder öffnen. „Das Testzentrum läuft aber auf jeden Fall weiter, die Tanzkurse finden ja abends statt“, sagt Schopf. Das Sozialministerium habe die Testzentren aufgefordert, so lange geöffnet zu bleiben, wie die Testverordnung des Bundes in Kraft ist. „Das ist auch mein Anspruch. Ich halte es für nicht in Ordnung, nur die besten Zeiten mitzunehmen“, sagt Schopf. Anfangs sei das Testen unrentabel gewesen, weil die Nachfrage noch niedrig gewesen sei. Am Ende werde es wieder unrentabel sein, weil die niedrige Inzidenz weniger Tests erforderlich mache und viele doppelt geimpft seien. 

Dass die Testzentren wegen einiger schwarzer Schafe in Verruf geraten, ärgert Holger Schopf. „Der Bund hat das einfach viel zu locker laufen lassen“, sagt er. Testzentren, die betrügen, müssten schnell vom Markt genommen werden. Seiner Ansicht nach müsse stärker kontrolliert werden, unter anderem, ob die Zahl der gekauften Testkits zur Zahl der getesteten Personen passt. „So würde man verhindern, dass Testkits auf dem Schwarzmarkt weiterverkauft werden“, sagt er. Dass Betreiber von Testzentren 18 Euro pro Test erhielten, wie häufig behauptet, stimme so nicht, sagt Schopf. Der Abstrich werde von der Kassenärztlichen Vereinigung mit 12 Euro vergütet. Für das Testkit, das die Zentren vorfinanzieren müssen, erhielten die Betreiber maximal sechs Euro. „Wenn es günstiger ist, bekommt man weniger.“ Die Rechnungen müssten bis 2024 aufgehoben werden und könnten überprüft werden. Holger Schopf findet, dass auch die Qualität der Tests besser kontrolliert werden müssten. „Ansonsten hat man Ergebnisse, die man zwar auf dem Papier hat, aber die nicht stimmen müssen“.

Auch in Kirchheim steigt die Zahl der Tests

Im Kornhaus in Kirchheim, dem Schnelltestzentrum, das von der Adler-Apotheke betrieben wird, ist die Zahl der Bürgertests ebenfalls gestiegen. „Bislang waren es immer 2000 Abstriche pro Woche, in den Pfingstferien waren wir bei etwa 3000 pro Woche“, sagt Maren Miller von der Adler-Apotheke. Als Gründe nennt sie das Reisen und die Öffnung der Gastronomie. „Lange Zeit war das Testen eine freiwillige Sache, mit Ausnahme des Friseurbesuchs. Aber seit man für fast alles einen Test braucht, spüren wir einen deutlichen Zuwachs“, sagt sie. adö