Kirchheim. Endlich wieder Theater! Nach einer gefühlten Ewigkeit ist die Bühne der Stadthalle wieder mit leibhaftigen Theaterfiguren belebt. Und sie führen sogar nichts Beliebiges, sondern etwas Exquisites vor: „Kunst“ von Yasmina Reza. Mit diesem 1994 uraufgeführten Stück wurde die 1975 geborene Autorin weltberühmt. Bis heute gehört die gelernte Schauspielerin mit ihren Bühnenstücken und ihren Romanen weltweit zu den erfolgreichsten Autorinnen.
Reza will den Titel mit Gänsefüßchen geschrieben haben: „Kunst“. Es geht im Stück um ein Kunstwerk. Es ist aber zweifelhaft, ob es dieses Prädikat verdient: eine weiße Fläche von „ein Meter sechzig auf ein Meter zwanzig“. Mit viel Mühe lassen sich drei weiße Querstreifen auf dem weißen Bild erkennen. Dieses „Kunstwerk des berühmten Malers Antrios hat der Arzt Serge erworben. Er zeigt es seinem langjährigen Freund, dem Ingenieur Marc. Dessen Urteil: Er erklärt Serge für verrückt, weil dieser für „diese Scheiße“ zweihundertzwanzigtausend Franc bezahlt hat. Sie werden sich nicht einig. Sie fragen den Dritten im Bunde, den Nichtakademiker Yvan. Der will es beiden Freunden recht machen. Als Dank wird er von beiden als charakterlos beschimpft.
Die Tragödie einer Freundschaft
Die Badische Landesbühne nimmt den Hinweis ernst, den die Autorin in einem Interview gegeben hat: Es gehe in dem Stück primär nicht um das Problem der modernen Kunst. Das läge nahe, da Yasmina Reza in Paris in einer elitären jüdischen kulturaffinen Familie aufgewachsen ist, sondern es gehe um die „Tragödie“ einer Freundschaft, die Marc erlebt. Es gibt deshalb in dieser Inszenierung nur einen Bühnenraum, keine drei, wie im Text, mit den anderen Bildern. Vor einer rechteckigen blauen Wand steht ein schwarzglänzendes dreiteiliges Sofa. Jedem der drei Freunde gehört sozusagen ein Sofateil. Neben den Dialogen bekommt jeder Spieler noch Soloauftritte. Die Mitspieler verschwinden dann hinter der „Wand“ oder werden aus dem Scheinwerferlicht genommen und „eingefroren“. Das ergibt, angesichts der knappen, präzisen Sprache eine rasche Folge von knackigen Einzelszenen, die in Rezas Sinne wie in einem Musikstück verschiedene Tempi aufnehmen können.
Alle drei Schauspieler sind ihren Aufgaben gut gewachsen. In Mimik, Gestik und Bewegung bringt jeder seine innere Zerrissenheit zum Ausdruck. Tim Tegtmeier kämpft als Serge um die Anerkennung seines Bildes als sei es ein Teil seines Wesens, Thilo Langer als Marc ist gespalten zwischen seiner Freundschaft und seiner Überzeugung und Martin Behlert als Yvan hat seine problematische Hochzeit im Kopf und spürt seine innere Orientierungslosigkeit. Für seine Sprachakrobatik wird er vom Kirchheimer Publikum mit Szenenapplaus belohnt.
Doch wie geht´s denn aus? Marc kommt Serge entgegen, sieht auf der weißen Fläche des Bildes einen Skifahrer kommen und verschwinden. Ist die Männerfreundschaft wiederhergestellt oder nur äußerlich gekittet? Reza bietet im Stück als Lebenshilfe angesichts unüberbrückbarer Positionen Senecas „Vom glücklichen Leben“ an, ein „äußerst modernes Meisterwerk“, das vor „fast zweitausend Jahren“ geschrieben wurde. Als weiteres Linderungsmittel gilt für sie das Lachen. Der Welterfolg dieses Stückes beruht sicherlich darin, dass Meinungsverschiedenheiten dadurch zwar nicht gelöst, aber kurz, kurzweilig und mit Humor diskutiert werden. Auch in Kirchheim haben die Zuschauerinnen und Zuschauer das Bühnengeschehen nach langem Beifall in heiterer Stimmung verlassen. Ulrich Staehle