In den vergangenen zwei Jahren haben sich vergleichsweise viele Deutsche während des Lockdowns ein Haustier angeschafft. Durch Homeoffice und Ausgangssperre blieb viel Zeit zu Hause mit den neuen Mitgliedern der Familie. Doch Lockerungen bezüglich der Corona-Lage machten aus dem geliebten Schoßtier schnell eine Last. Oftmals scheint den Besitzern dann die Abgabe oder sogar das Aussetzen der Tiere der einzige Ausweg zu sein. Das Resultat: Unzählige Tiere landen oftmals völlig verwahrlost in Tierheimen. In Kirchheim bereiten vor allem Katzen den Tierschützern schlaflose Nächte.
„So etwas habe ich in zehn Jahren noch nie erlebt“, erzählt die Tierheimleiterin Sandra Nebe und ergänzt: „Es sind einfach zu viele Katzen auf dem Markt. In Zeiten von Corona haben sich mehr Menschen als gewöhnlich Katzen über Plattformen wie Ebay angeschafft.“ Das Kirchheimer Tierheim versorgt zurzeit 50 Katzen vor Ort, davon sind lediglich neun bereits ausgewachsen.
Weitere Katzen sind in sogenannten „Pflegestellen“ untergebracht. Hierbei handelt es sich um private Haushalte, die besonders hilfsbedürftige Babykatzen bei sich aufnehmen. Keine einfache Aufgabe, denn die Tiere müssen oftmals von Hand aufgezogen werden: ein 24-Stunden-Job, bei dem den Kätzchen alle zwei bis drei Stunden das Fläschchen gegeben werden muss. Heike Planitz, ehrenamtliche Mitarbeiterin des Kirchheimer Tierheims, hat mit solchen Fällen schon einige Erfahrung gesammelt. „Mittlerweile fressen meine jetzigen Kätzchen schon selbst“, erzählt sie stolz. Doch so viel Freude der Job auch mit sich bringen mag, das Leid ist ebenfalls ein Bestandteil dieser Arbeit. Die ehrenamtliche Helferin hat vor einiger Zeit Babykatzen vor dem Schreddern gerettet. Drei Stubentiger wurden in einem Karton auf einem Recyclinghof gefunden. Jedoch hat nur eine der Katzen letztendlich die Tage in der Kälte überlebt: „So hatte ich mir die Aufgaben einer Pflegestelle anfangs nicht vorgestellt“, zeigt sich Heike Planitz ob solcher Herzlosigkeit fassungslos. Die drei „Kitten“ sind aber kein Einzelfall. „Die Zahl von ausgesetzten Katzen steigt kontinuierlich“, bedauert Sandra Nebe.
Umso wichtiger ist es dem Tierheim, etwas dagegen zu unternehmen: „Die Tiere müssen kastriert werden, um weitere tragische Schicksale zu verhindern“, betont Heike Planitz. In Kirchheim wird jede gefundene Katze kastriert und anschließend links des Halses tätowiert. Mit einem Lesegerät kann dadurch ganz einfach festgestellt werden, ob eine Katze bereits registriert und damit auch kastriert ist. Dieses System ist bei den wilden Katzen entscheidend, um eine unkontrollierte Vermehrung zu vermeiden. „Ein Lesegerät hat mittlerweile jedes Tierheim und auch jeder Tierarzt“, erzählt Sandra Nebe. Allerdings gibt es einen Haken, denn die Kastrationen sind mit hohen Kosten verbunden: „Wir haben dieses Jahr schon mehr als 60 Katzen kastriert und das Jahr ist noch nicht einmal vorbei.“ Diese Geldsumme im mittleren vierstelligen Bereich muss allein der Tierschutzverein stemmen. Eine andere finanzielle Unterstützung gibt es nicht. Heike Planitz ist ratlos: „So wenig Geld und so viele Katzen – das passt einfach nicht zusammen.“
Ein weiteres Problem ist zurzeit die Vermittlung der Vierbeiner: „Fast jeder hat mittlerweile Bekannte, Freunde oder Arbeitskollegen, die ,Corona-Katzen’ abzugeben haben“, erzählt die Tierheimleiterin. „Dabei haben wir jede Menge schöne Katzen, die ein Zuhause suchen“, fügt Heike Planitz hinzu. Viele der Katzen sind zudem außergewöhnlich zutraulich. Sandra Nebe erklärt sich dies mit der vielen Zuneigung, die jedes einzelne Tier im Kirchheimer Tierheim erfährt: „Das ist der Vorteil an einem kleinen Tierheim.“
Obwohl das Tierheim gerade aus allen Nähten platzt, liegt es den Mitarbeitern am Herzen, die Tiere nur unter den richtigen Bedingungen abzugeben. Für Sandra Nebe steht das Wohl der Tiere immer im Vordergrund: „Eine Katze erfordert viel Zeit. Das muss den Besitzern klar sein.“ Wenn das Tierheim das Gefühl hat, dass die Fellnasen in guten Händen sind, steht einer Vermittlung nichts mehr im Weg. Bis jetzt konnten jedoch nur wenige „Corona-Katzen“ aus dem Kirchheimer Tierheim in ein neues Zuhause umziehen.