Kirchheim
„Toiletten sind für uns tabu“

Lkw-Fahrer Bernd Gauss aus Unterlenningen berichtet, wie sich sein Arbeitsalltag durch die Corona-Pandemie verändert hat. In vielen Betrieben fühlt er sich seither nicht mehr richtig willkommen. Von Andreas Volz

Freiheit, grenzenlose Freiheit: Nicht nur über den Wolken soll sie herrschen, sondern auch auf den Straßen. Aber abgesehen davon, dass die Straßen viel stärker überfüllt sind als der Luftraum, ist es mit der Freiheit der Lkw-Fahrer seit Corona noch weniger weit her: Außer während der Fahrt sind sie auch beim Ladevorgang oder in der Pause zunehmend „eingesperrt“ in ihren Fahrerkabinen.

Ein Fahrer, der aus seinem Alltag erzählt, ist Bernd Gauss aus Unterlenningen. Seit 31 Jahren ist er auf den Straßen unterwegs - die ersten zehn Jahre im Fernverkehr, seither im Tagestourenverkehr mit durchschnittlich einer Übernachtung pro Woche. Anfangs fuhr er einen 7,5-Tonner, seit bald 25 Jahren ist es ein 40-Tonner.

Es war wohl die Freiheit, die den Kfz-Lackierer nach wenigen Jahren im erlernten Beruf ins „Fahrerlager“ wechseln ließ. Ob dabei gleich aus jedem Traum Wirklichkeit wurde, sei dahingestellt. Aber der 50-Jährige ist Lkw-Fahrer mit Leib und Seele, das merkt man bei jedem Satz, mit dem er über seinen Beruf berichtet.

Vielleicht ist gerade das der Grund, warum er so empört darüber ist, wie es ihm und seinen Berufskollegen seit Ausbruch der Corona-Pandemie ergeht, wie man ihnen in vielen Betrieben das Leben schwer macht. Es geht ihm nicht darum, den Verantwortlichen in diesen Betrieben Absicht oder gar Böswilligkeit zu unterstellen. Was ihn aber zutiefst trifft, ist eine Ungleichbehandlung von „fremden“ Lkw-Fahrern einerseits und eigenen Betriebsangehörigen andererseits. Dass er bei seiner Kundschaft auf dem Hof oder in der Halle Maske tragen muss, würde ihn nicht stören. Was ihn aber stört, ist die Tatsache, dass er dann oft der Einzige ist, der den Mund-Nasen-Schutz braucht.

In solchen Fällen scheut Bernd Gauss keinen Konflikt: „Lagerpersonal und eigene Fahrer haben keine Maskenpflicht, nur Lkw-Fahrer von Fremdspeditionen. Da standen die Lagerarbeiter ohne Maske einen halben Meter neben mir und forderten mich auf, meine aufzusetzen. Als ich ihnen erklärt habe, dass ich es nicht einsehe, sie zu schützen, aber ich nicht vor ihnen geschützt werde, bekam ich Hallenverbot.“ In einer anderen Firma weigerte er sich „aus Protest, die Lieferscheine zu unterschreiben, wenn der Lagerist nicht zwei Meter Abstand zu mir hält“.

Bernd Gauss hat das Gefühl, dass die Lkw-Fahrer in vielen Betrieben behandelt werden, „als hätten wir die Pest“. Was immer normal war, wird ihnen jetzt verweigert: „Toiletten und sanitäre Anlagen sind für uns tabu. Wenn wir uns bei der Be- beziehungsweise Verladung die Hände dreckig machen, haben wir keine Möglichkeit, uns die zu waschen, und müssen so unsere Tour fortsetzen.“ Seine Lösung, die er für dieses Problem gefunden hatte, taugt inzwischen nichts mehr: „Ich habe mir dafür im Frühjahr provisorisch einen Wasserbehälter und Seifenspender am Lkw angebaut, der mir aber nun im Winter nichts bringt, da das Wasser einfriert.“

Es geht noch extremer: „Manche Firmen verlangen sogar, dass der Fahrer im Lkw bleiben muss, bis der Staplerfahrer den Lkw beladen hat. Dies habe ich stets verweigert, da es mein Lkw ist und ich den Beladevorgang überprüfen muss. Das gibt jedes Mal eine heftige Auseinandersetzung.“

Vielleicht gibt es eine Bockwurst

Unterwegs ist es auch nicht besser: „Es gibt für uns Fahrer kein warmes Essen, eventuell eine Bockwurst an der Tankstelle, das war es dann aber schon.“ Geöffnet seien außerdem nur die Toiletten an den Tankstellen, wo dann eines von zwei Waschbecken wegen der Abstandsregelung gesperrt ist. „Das heißt, wenn ich in meinem Lkw geschlafen habe und morgens um 4 Uhr aufstehe, muss ich mich oft 20 Minuten anstehen, um mich zu waschen, da es ja noch andere Lkw-Fahrer gibt.“

Bernd Gauss will weder jammern noch klagen - und schon gar nicht anklagen. Er freut sich immer, wenn er in einen Betrieb kommt, in dem die Hygieneregeln vorbildlich umgesetzt sind und entsprechend für alle gelten. Er appelliert vor allem an die Verantwortlichen, sich einmal in die Lage der Fahrer zu versetzen: „Da sollten sich die Geschäftsführer einmal Gedanken machen, wie wir behandelt werden. Das wäre mir wichtig.“ Ein vergleichsweise bescheidener Wunsch, so kurz vor Weihnachten.