Kirchheim
Tollwut: Der Impfstoff steckt in Hühnerköpfen

Tierseuche Heute gilt die Krankheit offiziell als ausgerottet. Vor 30 Jahren sah das in der Teckregion ganz anders aus. Wie überall in Deutschland wurde auch hier die tödliche Virusinfektion bekämpft. Von Daniela Haußmann

Wildtollwut! Gefährdeter Bezirk – wie in vielen anderen Regionen in Baden-Württemberg warnten auch im Landkreis Esslingen Schilder mit dieser Aufschrift ab den 1950er Jahren vor der Viruserkrankung. Hunde mussten in diesen Sperrbezirken an die Leine, um eine Ansteckung von Mensch und Tier mit der tödlichen Krankheit zu vermeiden. Die hatte sich nach dem Zweiten Weltkrieg von Osteuropa nach Westen bis an den Rhein ausgebreitet und sich in Deutschland zu einer regelrechten Epidemie entwickelt, wie es auf der Homepage der Untersuchungsämter für Lebensmittelüberwachung und Tiergesundheit Baden-Württemberg (CVUA) heißt. Noch bis 1980 gab es im Südwesten rund 2000 Tollwut-Fälle. Allein in der Region Stuttgart registrierte das Staatliche Tierärztliche Untersuchungsamt Stuttgart bis 1990 jährlich 100 bis 400 Ausbrüche bei Tieren. Laut Zeitzeugen der Jägervereinigung Kirchheim stellte die Krankheit rings um die Teck nie ein massives Problem dar. Trotzdem traten Fälle auf.

Kreisjägermeister German Kälberer erinnert sich, wie um 1970 Waidleute im Filstal bei Diegelsberg die beiden streunenden Hofhunde eines Bauern jagten, weil sie infiziert waren. Das Innenministerium drängte lange darauf, deutlich mehr Füchse, die als Hauptüberträger der Tollwut galten, zu erlegen. Eine Prämie sollte sogar Anreize setzen. Laut Hans Reich, pensionierter Förster aus Weilheim, erhielten die Waidleute für jeden erlegten Fuchs, den sie beim Veterinäramt ablieferten, 7,50 Mark. Auch der Abschuss von streunenden Hunden wurde Hans Reich zufolge erleichtert, denn die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich mit Tollwut infizieren, war größer als bei Hunden, die angeleint beziehungsweise unter Aufsicht waren.

 

Für jeden erlegten Fuchs gab es eine Prämie von 7,50 Mark.
Hans Reich, pensionierter Förster aus Weilheim
 

Die Idee hinter der intensiven Fuchsbejagung war, den Bestand unter eine kritische Dichte zu bringen, um die Infektionsketten zu unterbrechen. Doch die Seuche breitete sich trotzdem selbst in tollwutfreien Gegenden aus, wie German Kälberer berichtet. Daran konnte auch das Einleiten von Gas in Fuchsbauten nichts ändern, die als Kollateralschaden nur bewirkte, dass überall die Dachs-Bestände massiv einbrachen, wie der Kreisjägermeister berichtet. Der entscheidende Durchbruch kam laut Dr. Thomas Stegmanns Anfang der 1980er Jahre. Damals wurden dem Veterinärmediziner zufolge als Impfköder präparierte Hühnerköpfe ausgelegt. Auch in der Teckregion verteilten Förster und Jäger in einer Dichte von meist 20 bis 30 Ködern pro Quadratkilometer den oralen Impfstoff in Wald und Flur. Ab Mitte der 1980er Jahre geschah das mit einem Abwurf aus Flugzeugen.

Die Ködermasse bestand Thomas Stegmanns zufolge aus Fischmehl, Paraffin und pflanzlichen Fetten. Als 1986 in Großbritannien erstmals die Rinderkrankheit BSE auftauchte verzichtete man nach Auskunft des Waidmanns aber auf tierische Köder-Bestandteile. Bis 1998 zählte auch das Antibiotikum Tetrazyklin zu den Inhaltsstoffen. Dabei handelte es sich um eine Markersubstanz, die sich in die Zähne der Füchse einlagerte. So ließ sich anhand von Proben bei erlegten Exemplaren erheben, ob die Immunisierungskampagne Erfolg zeigte, wie Thomas Stegmanns berichtet. Zunächst flammte die Infektionserkrankung in der Teckregion immer wieder auf, wie aus Vorstandsprotokollen der Jägervereinigung hervorgeht.

Obwohl die Aktion schon einige Jahre lief, lieferte 1990 noch ein Jäger aus dem Raum Kirchheim ein mit Tollwut infiziertes Reh beim Veterinäramt ab. Nach Angabe der CVUA ging die Zahl infizierter Tiere ab 1991 zurück. Dazu hat aus Sicht von Stegmanns auch die vorbeugende Schutzimpfung beigetragen, die bei Hunden und Katzen vor gut 40 Jahren im großen Stil erstmals zum Einsatz kam. Seit dem Jahr 1995 ist im Landkreis Esslingen kein einziger Tollwut-Fall mehr nachgewiesen worden, wie das Landratsamt in Esslingen mitteilt. Die Region Stuttgart gilt seit 1997 und ganz Deutschland seit dem Jahr 2008 als tollwutfrei.

In vielen Urlaubsländern wie Türkei, Marokko, Indien oder Thailand ist die Krankheit noch immer ein Risiko. Bei Reisen in Länder, in denen die Krankheit gehäuft auftritt, rät das Bundeslandwirtschaftsministerium davon ab, mit streunenden Hunden und Katzen in Kontakt zu treten oder diese aus dem Ausland mitzubringen. Wer das trotzdem tut, muss die Einfuhrbestimmungen beachten, um zu verhindern, dass man sich selbst, andere Personen oder Tiere infiziert.

 

Tollwut verläuft bei Tieren immer tödlich

Die Tollwut kommt noch immer weltweit vor. Sie ist eine Virusinfektion des Zentralnervensystems. Sie wird häufig über den Biss eines infizierten Fuchses, Hundes oder einer Katze auf den Menschen übertragen und verläuft immer tödlich. Hohen Schutz bietet die vorbeugende Impfung. Im Anschluss raten Experten, die Antikörpertiter zu überprüfen. Bei Kontakt mit dem Erreger ist beim Menschen eine Notimpfung möglich. Ihre Wirksamkeit hängt unter anderem davon ab, wieviel Zeit seit der Infektion verstrichen ist. Bei Tieren gibt es nach der Infektion keine Therapiemöglichkeit. Deshalb sollten sie vorbeugend geimpft werden. Tollwütige Tiere müssen laut Bundeslandwirtschaftsministerium gemäß Tollwut-Verordnung getötet werden. dh