Der Krieg in der Ukraine sorgt auf der ganzen Welt für großes Entsetzen und Verunsicherung. Auch für Kinder und Jugendliche in Deutschland ist diese Zeit belastend, sie sehen Bilder und Videos im Fernsehen und Internet, sind mit den Sorgen von Erwachsenen konfrontiert. Doch wie erklärt man Kindern den Krieg?
Generell solle man „nicht versuchen, vor Kindern geheim zu halten, was uns bewegt“, sagt Dr. Markus Löble, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Göppinger Christophsbad. Denn: „Kein Kind bemerkt es nicht, wenn die Mutter besorgt ist oder wenn Themen ausgespart und erst dann angesprochen werden, wenn das Kind im Bett ist.“ Kinder wissen, dass es auf der Welt Sorgen, Not und Elend gibt, betont Löble. „Wenn zum Beispiel eine Ehe auseinandergeht und die Eltern eröffnen dies ihren Kindern, sagen die meisten davon: ,Das habe ich schon gewusst‘ “, berichtet der Chefarzt. Mit Blick auf den Krieg in der Ukraine empfiehlt Löble deshalb, mit den Kindern über das Geschehen zu sprechen und nichts zu beschwichtigen nach dem Motto: „Es ist alles in Ordnung.“
„Man sollte Kinder nicht anlügen“, ergänzt er. Es handle sich um einen Angriffskrieg „der barbarischsten Sorte. Es sterben Menschen, die sonst nicht hätten sterben müssen“. Dies könne auch benannt werden gegenüber Kindern. Man brauche nicht darauf einzugehen, wie beispielsweise eine Schusswunde aussieht; „aber man kann sagen, dass Krieg etwas ganz Schlimmes ist“. Es sei wichtig, nicht zu bagatellisieren, aber auch nicht zu dramatisieren, sondern die Situation mit Augenmaß zu schildern. „Es ist eine Gefühls- und Gratwanderung“, verdeutlicht der Chefarzt, der in Kirchheim lebt. Wenn sich ein Kind für den Krieg in der Ukraine interessiert, solle man auf jeden Fall mit ihm darüber reden und es nicht damit alleine lassen oder gar beiseiteschieben mit dem Satz: „Ich habe gerade andere Probleme.“
Löble rät Eltern: „Gehen Sie mit Ihren Kindern genauso um wie mit Ihren Ehemännern und -frauen.“ Sinnvoll könne es auch sein, die Kinder zu beteiligen, indem die Eltern sie zum Beispiel zu Friedensdemonstrationen mitnehmen oder zusammen mit ihnen im Haus nachschauen, mit welchen Sachspenden sie den Menschen in der Ukraine helfen könnten. „Man kann eine Katastrophe entweder hilflos und schreckensstarr über sich ergehen lassen oder man kann versuchen, die Situation zu verändern und aktiv Hilfe zu leisten. Das sollten wir unseren Kindern beibringen. Denn Passivität und Ohnmacht machen krank.“
Auch in Gesprächen mit Kindern und Jugendlichen, die im Christophsbad in Behandlung sind, sei es wichtig, „Möglichkeiten der tätigen Hilfe und des Aktivwerdens zu betonen“. Dies helfe, Leid und Unrecht zu ertragen. Erwachsene könnten hier Vorbild sein – „und sei es nur wenig und im eigenen Umfeld“. Löble berichtet in diesem Zusammenhang davon, dass im Foyer des Christophsbads Matroschkapuppen aufgestellt wurden, also die aus Holz gefertigten, ineinander geschachtelten Puppen.
Gleiche Bedürfnisse
„Matroschkas sind in Russland und in der Ukraine verbreitet. Kein Mensch weiß, ob sie mehr russisch oder ukrainisch sind.“ Es handle sich um eine weit verbreitete Volkskunst. Man wolle mit den Matroschkapuppen zum einen verdeutlichen, dass Menschen nicht mit ihren Machthabern gleichgesetzt werden sollten – und zum anderen, dass alle Menschen gleiche Bedürfnisse haben, zum Beispiel als Kinder mit Puppen zu spielen, und dass keine Unterschiede zwischen ukrainischen, russischen und weißrussischen Matroschkas bestehen.
Der Chefarzt empfiehlt Eltern darüber hinaus, mit ihren Kindern zusammen Nachrichten zu schauen, allerdings nur seriöse Nachrichten. Auch Kindernachrichten auf dem Fernsehkanal Kika eignen sich gut, ergänzt er – ebenso spezielle Kinderseiten in Tageszeitungen. Allerdings: Wenn eine Mutter von Weinkrämpfen geschüttelt vor dem Fernseher zusammenbreche, sei dies für Kinder nicht gut. „Ist eine Familie derart betroffen, sollte man den Fernseher lieber auslassen.“ Auf die Frage, ob man vor Kindern nicht weinen dürfe, antwortet Löble: „Natürlich darf man vor Kindern weinen, aber danach könnte man ins Schlafzimmer gehen und schauen, welche Decken man spenden kann.“ Wichtig sei die aktive Bewältigung schwieriger Situationen.
„Kinder erinnern uns an die Kraft des Lebens und daran, dass es Hoffnung und ein Weiterleben geben kann“, betont Löble. Es sei daher nicht nur einseitig zu sehen, dass wir unsere Kinder schützen müssen, „sondern sie können uns auch trösten“. In der Trauer halten Kinder Erwachsene oft am Leben und zeigen ihnen, dass sich die Welt weiterdreht, ergänzt er. „Sie verkörpern das Leben und sind eine große Ressource für die Menschheit.“