Tradition und Moderne präsentierten sich gestern in Kirchheims Innenstadt friedlich vereint: beim Wollmarkt rund ums Schloss, der bereits am Samstag begonnen hatte, und beim Autosalon in der Markt- und der Max-Eyth-Straße, der alle zwei Jahre zum Auftakt der Goldenen Oktobertage gehört.
„Golden“ präsentierten sich die Tage am Wochenende durchaus, auch wenn es am Vormittag schon - oder noch - ziemlich kalt war: Sowohl beim Platzkonzert der Stadtkapelle am Samstag- als auch beim ökumenischen Gottesdienst am Sonntagmorgen waren diejenigen gut dran, die bereits Wollhandschuhe im Gepäck hatten. Und auch die wärmenden Schuheinlagen mit Schaffell, die auf dem Wollmarkt im Angebot waren, zogen begehrliche Blicke auf sich, bevor die Mittagssonne für Erwärmung sorgte.
Mit dem historischen Kirchheimer Wollmarkt, der die Teckstadt von 1819 bis 1914 im ganzen Königreich Württemberg berühmt machte, hat der heutige Wollmarkt natürlich nichts mehr zu tun. Trotzdem ist es erstaunlich, wie viele unterschiedliche Produkte rund um Schaf und Wolle auch heute noch die Massen nach Kirchheim locken können. Wolle und Filz in allen Farben, Variationen und Verarbeitungen waren an über 60 Marktständen zu sehen. Mitmachen war ebenso möglich, beim Filzen im Marstallgarten, wie das Zuschauen in der Schlosskapelle, wo Frauen ganz traditionell am Spinnen waren.
Auch die Verpflegung stand im Zeichen der tierischen Wollelieferanten. Schafskäse ist zwar kaum mehr außergewöhnlich, aber dazu gab es an einem anderen Stand Lamm-Eintopf, Lamm-Maultaschen und Lamm-Burger. Lebendige Schafe aber waren eher nicht zu sehen - ein wesentlicher Unterschied zum historischen Wollmarkt. Das lag wohl auch daran, dass das Schaf in der gemeinsamen Geschichte mit der Menschheit keine große Karriere als Reittier gemacht hat. So mussten auf dem Geflügelmarkt eben doch wieder Ponys zum Reiten herhalten.
Perfekt angepasst ans Thema Wollmarkt zeigte sich auch der Posaunenchor des CVJM Kirchheim, der den Gottesdienst im Marstallgarten unter anderem mit dem Lied „Weil ich Jesu Schäflein bin“ umrahmte. Gleich nebenan drehte sich nach der Kirche das historische Kettenkarussell, das auch schon zu „echten“ Kirchheimer Wollmarktzeiten hätte dazugehören können: Statt an Ketten hingen die Sitzgelegenheiten für die Kleinen an Seilen, und betrieben wurde das Karussell mit Muskelkraft. Die Liebe zum Detail kam auch bei der Zeitanzeige zum Ausdruck: Die Runden erhielten ihren zeitlichen Rahmen per Sanduhr.
Modernste Technik präsentierten Kirchheims Autohändler dagegen auf den beiden Hauptachsen der Innenstadt: Statt alter Wolle zeigten sie Lack und Leder, wobei die Farbgestaltung auffallend zurückhaltend war. Während Wolle und Filz in allen Farben leuchteten, gab es bei den Autos die Tendenz zur Schwarz-Weiß-Malerei, mit allen möglichen Grautönen zur Abstufung. In seltenen Fällen blitzte auch einmal ein rotes oder gar ein gelbes Modell auf.
Ein Hoch auf die Flügeltüren
Trotzdem passten die Autos ganz hervorragend zum heutigen Wollmarkt, auch wenn sie den Besuchern des alten Markts bis 1914 mehr als futuristisch erschienen wären. Das gilt vor allem für ein Modell in der Marktstraße, das einen kleinen Besucher in Verzückung versetzte: „Ein echtes Auto mit Hochtüren“, rief er aus und ließ sich in seiner Begeisterung auch nicht von der Mutter irritieren, die völlig korrekt anmerkte: „Das heißt ,Flügeltüren‘.“
Andere Besucher begeisterten sich für Elektro- oder Hybridantriebe und informierten sich über Sonderausstattungen, Preise oder Zahlungsmodalitäten. Das Interesse am Auto jedenfalls schien gestern ungebrochen - trotz oder gerade wegen der Unsicherheiten rund um die Dieselfahrverbote.
Das gute Wetter tat dabei ein Übriges: Sonne, Wolle, Autos, Gottesdienst - alles trug auf unterschiedliche Weise dazu bei, die Besucher in Kirchheims Innenstadt zu erwärmen.