Gesundheit
Unternehmen für psychische Erkrankungen sensibilisieren

Immer mehr Berufstätige sind psychisch belastet. Der Arbeitskreis Leben Nürtingen-Kirchheim schult Führungskräfte im Umgang mit Betroffenen. 

Die psychisch bedingten Fehltage im Beruf nehmen beständig zu. Zur Hochrisikogruppe zählen Männer und verstärkt Jugendliche, die zum Beispiel in der Ausbildung sind.  Symbolfoto: Carsten Riedl

Die Zahl der Krankschreibungen aufgrund psychischer Erkrankungen nehmen jedes Jahr zu“, weiß Dr. Alena Rögele. Die Psychologin ist aktuell die Geschäftsführerin des Arbeitskreis Leben Nürtingen-Kirchheim (AKL), bald wird ihre Nachfolgerin Kathrin Paul-Prössler übernehmen. „2023 gab es laut DAK-Gesundheitsreport einen erneuten Höchststand. Im Zehn-Jahres-Vergleich stieg die Zahl der so begründeten Arbeitsausfälle um 48 Prozent“, berichtet Rögele. Der AKL bietet seit Jahresbeginn ein präventives Angebot für Führungskräfte mittelständischer Unternehmen im Landkreis Esslingen an. Unter dem Titel „Vorbeugen, Erkennen, Unterstützen – Führungskompetenzen für den Umgang mit psychisch belasteten Mitarbeitenden“ können die Unternehmen einen Experten-Vortrag oder einen vierstündigen Workshop der psychosozialen Fachkräfte buchen. 

Anzeichen von Krisen erkennen

„Damit hoffen wir besonders die Hochrisikogruppe der Männer und verstärkt auch Jugendlichen, etwa Azubis, über die Führungskräfte zu erreichen“, sagt Alena Rögele. Für die Jüngeren seien es häufig die großen Veränderungen im Leben, die eine Krise auslösen. „Nach wie vor nehmen Männer, allein schon angesichts der gesellschaftlichen Erwartungshaltung an sie, in psychisch belastenden Situationen weniger Hilfsangebote in Anspruch als Frauen. Gleichzeitig werden rund 70 Prozent aller Suizide jährlich von Männern begangen“, macht die Psychologin den Bedarf deutlich. Diese Entwicklung spiegle sich beim Beratungsangebot des AKL wider, im Jahr 2023 nahmen dieses 63,9 Prozent Frauen und nur 35,4 Prozent Männer in Anspruch: „Die aktuellen Zahlen dürften ähnlich sein.“ Suizidalität und psychische Erkrankungen allgemein seien nach wie vor Tabuthemen und oft bestehe eine große Unsicherheit im Umgang mit Betroffenen. 

Ziel der Schulung ist es, die Führungskräfte, zu denen neben der Geschäftsführung auch Abteilungs- oder Teamleiter zählen, für die Bedeutung von psychischer Gesundheit am Arbeitsplatz zu sensibilisieren und gleichzeitig zu vermitteln, wie sie Anzeichen von Krisen bei Mitarbeitenden erkennen und darauf angemessen und unterstützend reagieren können. „Zu den Anzeichen gehört zum Beispiel eine Verhaltensänderung: Jemand, der immer sehr ruhig war, ist es plötzlich nicht mehr und umgekehrt. Oder jemand äußert regelmäßig körperliche Beschwerden wie Übelkeit, Kopfschmerzen oder Schlafprobleme“, erklärt Alena Rögele.

Für ein soziales Klima im Unternehmen sorgen

Hier sollten Vorgesetzte die Ursache hinterfragen und den Betroffenen ein vertrauliches Gespräch anbieten. „Ganz wichtig ist, wie man ein Gespräch angeht. Ich-Botschaften sind hilfreich, auf keinen Fall darf Druck aufgebaut werden. Das üben wir im Workshop“, so die Psychologin. Auch das berufliche Umfeld könne eine psychische Belastung zur Folge haben. Für die Führungskräfte gelte es, einen offenen Blick für ihren Betrieb und die Unternehmenskultur zu haben. „Punkte dabei können sein, ob man zum Beispiel mehr Homeoffice-Tage anbieten oder etwas für ein besseres soziales Klima tun kann. Wichtig ist zudem, dass in Fällen von Sticheleien oder Mobbing klar Stellung bezogen wird.“ Auch unter wirtschaftlichen Aspekten sei es wichtig, so früh wie möglich zu reagieren und Betroffenen Unterstützung anzubieten: „Umso weniger besteht die Gefahr eines längeren Ausfalls.“

Bei der Programm-Entwicklung mitgewirkt haben die Firma Keller Lufttechnik aus Kirchheim, bei der als Pilotprojekt drei Expertenvorträge stattfanden, sowie die Firma Fischer aus Weilheim. „Der Mensch steht bei uns im Familienunternehmen an erster Stelle“, sagt Ann-Cathrin Keller, Mitglied der Geschäftsführung des Kirchheimer Maschinenbauunternehmens. Mit dem AKL habe man einen regionalen Partner, dessen Angebot die betriebliche Gesundheitsvorsorge ergänze und Mitarbeitenden in schwierigen Lebenssituationen zur Seite stehe. „Psychische Gesundheit ist kein einfaches Thema. Mit der Schulung, die sehr gut angenommen wurde, konnten einige Hemmungen genommen werden“, ergänzt Personalreferentin Michaela Herbstreit. Führungskräfte können sich auch einzeln beim AKL Nürtingen-Kirchheim auf die Warteliste für eine Gruppenschulung setzen lassen.